Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
verhohlen nuschelnd nach und möglichst ironisch-höflich zu verstehen, ich möchte ja vielleicht von ihm gar nicht protegiert werden.
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Albanien kann niemand helfen, ach nein, ach ja, der Albanerer ist schon sehr arm dran. Eine Art Zukunft dämmerte ihm zwar in grauen Vorzeiten herauf, als seine Nationalmannschaft in Tirana tatsächlich ein Unentschieden gegen Deutschland erfocht; später schürte der deutsche Bundespräsident und Feuerkopf R. Herzog anläßlich eines aufbauenden Besuchs manche Zuversicht, ja Hoffnung jenseits von Sozialismus und Kapitalismus; als das wieder sang- und echolos verflogen war, war es im September 1995 eine Dreißig-Mann/Frau-Equipe rund um die Frankfurter Satirezeitschrift, die dem Land eine volle Woche lang die Aufwartung machte, aber auch das sehr vergebens und viel no future hinter sich lassend – nein, ungeachtet eines gloriosen Gruppenauftritts im albanischen Staatsfernsehen (gegenüber dem Tiraner Fußballplatz) haben wir am Ende wenig ausgerichtet, praktisch nichts für Land und Leute zu tun vermocht. Einige gesicherte Erkenntnisse immerhin bleiben, jedenfalls in meiner Bilanz:
1. Keineswegs kann der Albanerer, wie Otto von Bismarck von den Balkanbewohnern insgesamt wähnte, »uns meist nicht leiden«. Sondern von einer bestimmten Bildungsstufe an vermag er derart erfolgreich und manierlich mit uns Deutschen Deutsch zu sprechen, daß man sich nur wundern kann, was er sich so viele Wochen, vielleicht Monate, eventuell gar Jahre nach Ro. Herzogs Besuch ausgerechnet davon verspricht.
2. Die früher unter Karl May sog. Skipetaren und besonders wilden Albanerer hassen zwar heftig die Griechen, Serben und Italiener, werden aber ganz sanft, wenn sie uns Deutsche sehen. Denn voll Mitleid erinnern sie sich, wie sie uns einst, s.o., aus dem Europapokal herausgehaut haben (trotz, wie man in Tirana heute noch weiß, Gerd Müller in der Sturmspitze) – der größte Landesaufschwung seit dem Untergang Illyriens.
3. Falls Mutter Teresa schon wirklich aus Albanien stammt und nicht bloß ein eingebildetes Gespenst ist, so ist diese bekannteste Landsmännin doch jedenfalls nicht die ichidealbildendste. Sondern die moderne Albanerin strebt, dem noch schmalen Frauenillustriertenangebot nach zu urteilen, unser aller Zentralzumutung Claudia Schiffer so innig nach wie alle anderen Museltöchter auch.
4. Dagegen die albanische Oma sitzt den ganzen lieben langen Samstag auf einer Kiste vor zwei Bündeln Bananen, will diese aber gut sichtbar gar nicht verkaufen, sie verdiente ja daran viel zu wenig, um sich zwei Bündel Bananen dafür kaufen zu können, um diese dann hoffentlich endlich zu vertilgen.
5. Der junge Albanerer läßt sich von uns Deutschen Kugelschreiber schenken, die er zehn Minuten später an mich für 1.60 DM (100 Leki) weiterverscherbelt. Vielleicht hat er ja zu Hause unterm Bett auch bereits eine Million Kugelschreiber.
6. Mit dem Umweltschutz ist es in Albanien schon ein Problem.
7. Fiel mir schon am zweiten Reisetag lastend, aber auch irgendwie beschwichtigend auf die Seele, daß der vor allem ältere und ländliche Albanerer die Kuh sowie anderes Haus- und Huf- und Feldtier, vor allem aber doch die Kuh, nicht primär und nicht unbedingt als Nutztier hält. Sondern, sichtbar an jedem Feld und Busch und Wiesenrain, vielmehr frei und mehr oder weniger unbeschwert und ziellos mit ihr herumstreichend und sie am Gängelband haltend und vorwärtsziehend weitgehend zum Zeitvertreib. Mit ihr, der Kuh, einigermaßen freudig und schadlos den langen und, ach, wieder so nutzlosen Tag bewältigend – und dies sogar viel artifizieller, artistischer, wahrhaft l’art-pour-l’artmäßiger, als dies z.B. der Erfinder dessen, der dumme Franzose, zu leisten, ja auch nur zu begreifen vermöchte.
Und schon dafür wollen wir ihm dankbar sein, dem älteren Albanerer, und uns damit eilends wieder von ihm verabschieden.
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Eine Kurzversion dessen steht schon in der Editorischen Nachwortnotiz des Bands »Literaturkritik« meiner Werkausgabe (S. 914f.); es ging um eine damals wieder mal besonders aktuelle Übersicht über besonders geschraubte Buchtitel, Waschzettel und sonstige Närrischkeiten des Suhrkamp Verlags; nachzulesen z.B. im gleichen Band der Werkausgabe (S. 39ff.):
»Ungewöhnlich echo-, wenn schon nicht folgenreich war, weil er in der FAZ stand, der eigentlich mehr spielerische als polemische Artikel ›Spaß mit Suhrkamp‹ vom 2.9.1992. Ein üppiger
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