Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
Welt und ihr oftmals recht zwielichtiges, ja widerwärtiges Getümmel. Ich selber kann, so wahr ich hier sitze, heute immer noch vier, fünf, werweiß sieben Dutzend deutsche Gedichte auswendig, jeweils zehn bis zwanzig von Eichendorff, Gernhardt, Bernstein, der Rest verteilt auf Goethe, Heine, Hölderlin, Wolf und Busch – von mir selber vermag ich aber, über den Zwei- und bestenfalls Vierzeiler hinaus, keins vorzuweisen. Dafür kann das aber bei einem sogar sehr kunstreichen und schwierig einzuprägenden Gedicht der Leser und Freund Werner Schärdel, zuletzt bezeugt an seinem 60. Geburtstag am 22.1.2011 in Tübingen – nämlich mein in der barocken Manier des Gryphius fabriziertes Gedicht »Schlechtes Wetter« von 1992; bei dem ich selber klein beigeben muß:
»Trutz! Potz! Schwer Feuersglut!
Fahr hin, Treu! Treu und Gut!
Glaub auch! Blitz! Gott dazu, oh wie verflucht!
Satan, fahr drein!
Trotz! Hotz! Ach wie verrucht!
Hölle! Wei! Sackerment!
Wetter, zisch drein!
Und wie wollt’ heute, ach,
Fröhlich ich sein!
Ausgießen sonnig mich, fahren zum Baden,
Graus und Pechschwefel!
Luzifersbraten!
Schatten des Todes, Sargschrein und Leichen!
Hund! Sau! Verwünscht! Oh oh!
Pest, Furz und Seuchen!
Denn was jetzt blick ich? Was, Augenbrut?
Wen, Gift und Galle? Was? Dreck und Fut!?
’s schifft drauß.
Himmel wie Leichentuch. –
Dir Himmel fluch ich!
Fluch allem!
Fluchfluch!«
Schärdel hat beim gemeinsamen Kameraden Michael Gölling eine grafisch verschönerte Postkartenversion des Poems herstellen lassen, nach der er besonders gern liest und die auch in seinem Wohnzimmer an der Wand prangt, auf daß er jederzeit gegen die Unbilden und Zumutungsballungen und sonstigen Taumeligkeiten des Lebens gewappnet sei. Und um sich zumal gegen das schlechte Wetter gehörig aufzubäumen. Es genügt aber auch die Druckfassung in meinem lyrischen Sammelwerk »An krummen Wegen« von 1994 – der Gruß gelte bei dieser schönen Gelegenheit gleichfalls Frau Iris Schärdel; und weil wir schon einmal dabei sind, ebenso den Söhnen Florian und Thymian pardon: Julian; die, zwar inzwischen erwachsen und sogar schon beruflich erfolgreich, auch einmal in diese und jene trübselige Lebensschieflage geraten könnten, in der ja allein ein so ein Gedicht halbwegs weiterhilft.
Und denen das Auswendiglernen und dann auch -können im Sinne ihres darin vorbildlichen Vaters hier und hiermit also gleich auch noch ans Herz gelegt sei.
So wie das weitere Kaufen meiner Bücher. Wenn mal der Vater nicht mehr recht kann.
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Bedauerlich, daß das Bedürfnis, über eigene Werke, Romane, Satiren usw. nachzugrübeln, samt dem Willen, darüber auch noch – rechtfertigend, korrigierend, aufklärend – zu schreiben, ein Bedürfnis, das, nicht nur bei mir, einst beinahe emsiger war als der Wille zum Buchschreiben selber, – schade, daß es nachläßt. Daß es langsam, vielleicht immer zügiger nachläßt. Aber auch wieder gut zu was. Ich würde hier sonst manchen Leser und guten Freund vielleicht doch allzu kraftvoll der Schwäche, der Leseunfähigkeit, der Banausie zeihen, der Amusität und des früher zu Recht sogenannten Kulturbolschewismus; würde ihn nolens und vor allem volens sogar beleidigen. Ihn am Leben verzagen lassen. Machen wir’s hier also, Gerechtigkeit einigermaßen zu restaurieren, kurz und summarisch und ziellos: Diese Kretins! Diese Bildungsphilister! Diese ewig elendiglichen Mitquatscher und vollkommen unbefugten Bescheidwisser! Die schlaumeiernden Leimsieder, die! Diese, hah, vorlaut-fürwitzigen Nasehochträger und -rümpfer obendrein! Diese (um dem als Lachlieferanten eigentlich längst als taube Nuß abgelegten Thomas Bernhard doch noch einmal seine Chance zu geben) integralgemeinen kardinalinferioren Geistesbetrugsabschaumverbrecher, diese verheerend seinsdespotisch gehirnverschleißende und zugleich in aller kopflosen Lächerlichkeit und rundumruinierten Morschheit und Verantwortungslosigkeit exzessiv extremst (wird jetzt beim Spaziergang fortgeführt)
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Nicht vergessen sein mögen die schönsten Zeitungsüberschriften und Textformulierungen der letzten Jahre, auch wenn ihnen zu den Denkwürdigkeiten genaugenommen der Gedanke fehlt:
– »Die Schweiz im Durcheinandertal« (Neue Zürcher Zeitung, 5.8.97)
– »Was für eine Verarsche!« (Bild, 12.4.11)
– »Die ganze Welt lacht« (Bild, 6.4.2000)
Möge die Erde sich auftun und sie dabei alsbald verschlingen!
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Etliche zentrale Begriffe aus
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