Denn dein ist die Schuld
Jugendstrafanstalt Mailands, beschließen würde, da seine familiäre Situation vollkommen verfahren war: Der Vater war an einer Überdosis gestorben, und wenn Ivan aus der Schule nach Hause kam, erwartete ihn dort niemand, und der Kühlschrank war immer leer. Seine Mutter, die stundenweise als Haushaltshilfe und Putzfrau arbeitete, war am Abend so erschöpft, dass sie ihren Kindern nicht einmal mehr Gute Nacht sagen konnte.
Zu allem Unglück gab es da noch den neuen Lebensgefährten der Mutter, den die unglückselige Frau bei sich aufgenommen hatte. Ein gewalttätiger Mistkerl, arbeitslos, noch dazu vorbestraft, der auf Bewährung draußen war unter der Auflage, sich täglich in der Carabinieristation zu melden und dort zu unterschreiben. Hätten nicht Don Mario und das Jugend- und Gemeindezentrum für ein wenig Ordnung in dem Leben des Jungen gesorgt, wäre Ivan bestimmt ins Jugendgefängnis gekommen, bevor er achtzehn war.
Kinder wie er, die auf der Straße groß wurden und nie wussten, ob sie genug zu essen bekamen, damit sie vielleicht auch die eine oder andere Partie Fußball durchhielten, wurden in allen Vorstädten Italiens bereits ab dem Kindergarten von kriminellen Banden umworben. Begehrt, weil sie noch nicht strafmündig waren, und getrieben von ihrem Kampf um das tägliche Brot, bildeten sie ein Heer von billigen und willigen Dieben für Hehler von Fahrrädern, Motorrädern, Helmen, Uhren und Mobiltelefonen. Und es gab Schlimmeres.
Ivan hatte zwar noch eine Mutter, doch die arme Annamaria musste mit ihren schlecht bezahlten Aushilfsjobs für alles aufkommen: Miete, Essen, Kleidung, Rechnungen und besonders für die Laster ihres Lebensgefährten, der zwar keinen Cent verdiente, aber auf nichts verzichten wollte. So war sie ständig unterwegs, um Treppen zu wischen, Büros sauberzumachen und Böden zu bohnern. Und ihre Kinder blieben mehr oder weniger sich selbst überlassen.
Aber zum Glück gab es Don Mario, der mit dem Kirchenchor und seiner Fußballmannschaft, vor allem aber mit seiner rauen autoritären Ausstrahlung Ivan dazu brachte, die Schule zu besuchen und zu lernen. Sein Engagement für ihn reichte weit über seine Pflichten als Gemeindepfarrer hinaus, aber er mochte diesen Jungen sehr und wusste, es fehlte nicht viel und er würde auf der Straße unter die Räder kommen. Und wenn Ivan in der Gosse endete, hätte dessen Schwester Martina niemanden mehr, der sich um sie kümmerte.
Die beiden Geschwister hingen zusammen wie Pech und Schwefel. Wenn einem von beiden etwas zustieß, wäre auch der andere verloren.
KAPITEL 5
Die monumentale Orgel in der Kirche Santa Maria della Conciliazione hatten weder die Stadt Mailand noch die Gemeinde Rozzano gestiftet. Es handelte sich auch nicht um eine Stiftung des reichen Ordens der Barmherzigen Schwestern, sondern um die einer wohlhabenden adligen Dame, die in der Gegend von Moirago ein riesiges Landgut besaß.
Sie hieß Maria Costanza Appiani d’Aragona und gehörte zu einer alten Adelsfamilie, die mit dem spanischen Thron verwandt war. Eine sehr vornehme, sehr reiche, sehr fromme und sehr hässliche Dame.
In ihren letzten Lebensjahren verbrachte sie mehr Zeit in der Kirche als in ihrem eigenen Haus, und ihr, einer Frau, die die Welt gesehen und ihren Mann auf seinen diplomatischen Missionen begleitet hatte, war aufgefallen, dass die Messen in diesem Gotteshaus am Rand von Mailand wesentlich strahlender und bewegender wären, wenn dazu die Töne einer richtigen Orgel erklingen würden und nicht die eines Harmoniums, das die wunderbaren Choräle Bachs in eintönig leiernde Schlaflieder verwandelte.
Und wenn man zusätzlich zur Orgel einen guten Chor zu hören bekäme, könnte sie während des Hochamtes die Augen schließen und denken, sie säße noch immer im Freiburger Münster, wo sie die letzten Jahre mit ihrem verstorbenen Mann verbracht hatte.
Gesagt, getan.
Nachdem sich die alte Marchesa eingehend mit ihren Vermögensverwaltern und ihrem Notar beraten hatte, hatte sie einen Fonds für die »Liturgischen Belange der Gemeinde« eingerichtet, dessen Verwaltung sie dann dem Kirchenvorstand übertrug, natürlich unter der Aufsicht des Notariatsbüros, das sich später auch mit der Vollstreckung ihres Testaments befassen würde.
Selbstverständlich war der erste »Liturgische Belang« der Ankauf einer Orgel auf einer Versteigerung. Ein altes, imposantes Instrument aus deutscher Herstellung, für dessen Einbau man den Chor verstärken und die
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