Denn dein ist die Schuld
Jahrhunderts auf Befehl eines reichen, ehrgeizigen und größenwahnsinnigen Bischofs errichtet wurde. Der hatte sich seinen Platz im Paradies sichern wollen, indem er dem neugegründeten Orden der Barmherzigen Schwestern einen angemessenen Sitz schenkte.
Die Schwestern, erst vor kurzem von Papst Leon XII. gesegnet und nun bereit, wie Bienen über die gesamte italienische Halbinsel auszuschwärmen, hatten das Geschenk des Prälaten äußerst gern angenommen und sich im Konvent hinter der Kirche niedergelassen, in dem heute das Jugend- und Gemeindezentrum untergebracht war. Doch sie hatten diesen Ort nie geliebt, der damals nur auf Mauleseln oder von Pferden gezogenen Lastkähnen zu erreichen war. Eine Art Einsiedelei mitten in einem sumpfigen Gelände, in dem es von Mücken und Banditen nur so wimmelte. So bald wie möglich waren sie ins Zentrum von Mailand gezogen, denn statt der gefährdeten jungen Mädchen, die der Orden von der Straße auflas, um sie zu retten, waren innerhalb kurzer Zeit Töchter aus dem Großbürgertum in seinen Reihen, die zu reich und zu verwöhnt waren, um sich zwischen Nebel, Fröschen und Mücken lebendig begraben zu lassen.
Nach der Landflucht der Schwestern hatte der ehemalige Konvent jahrelang leer gestanden, und die Kirche wurde irgendwann ausgesegnet. Erst Anfang der Sechzigerjahre füllte sich das Gelände wieder mit Leben, als die Stadt sich immer weiter ausdehnte.
Mailands »Gürtel«, bestehend aus einem Hinterland größerer Gemeinden mit jeder Menge hässlicher Wohnhäuser, Geschäftsgebäuden und Megaeinkaufszentren, nahm damals die Gabe des Bischofs in Besitz, führte Kirche und Konvent aber nicht wieder ihren ursprünglichen Funktionen zu. Die beiden einst geheiligten Orte blieben noch viele Jahre lang sich selbst überlassen, bis sie schließlich zur Combat Zone der ortsansässigen Mafiosi und Kriminellen wurden, die sich heftige und blutige Schießereien um die Aufteilung des Drogenmarktes lieferten.
In dieser Ecke im Südwesten von Mailand kam es zu regelrechten Massakern. Der Konvent verkam zu einem Hauptumschlagplatz für Heroin, und aus der Kirche verschwand alles, was nicht niet- und nagelfest war, sogar die schwarz-weißen Fußbodenfliesen und die gravierte Grabplatte, unter der die sterblichen Überreste des Bischofs ihre letzte Ruhe gefunden hatten, bis nur noch das nackte rußgeschwärzte Mauerwerk übrig blieb, über und über von obszönen Graffiti bedeckt. Der Boden füllte sich mit schmuddeligen Matratzen, die ein paar gerissene Geschäftemacher an Drogensüchtige für ihren nächsten Trip vermieteten. Jahre, nein, Jahrzehnte ging das so, bis ein Komitee aufgebrachter Anwohner einige Tausend Unterschriften sammelte und an die Bürgermeister von Mailand und Rozzano schickte, zusammen mit einem Müllsack voll gebrauchter Spritzen und leerer Patronenhülsen, die sie in der Kirche aufgesammelt hatten.
Ein Sturm der Entrüstung brach los.
Der Bürgermeister und die Stadträte, die zunächst so lange wie möglich auf Tauchstation gingen, beugten sich schließlich dem öffentlichen Druck, vor allem weil kurz darauf Neuwahlen anstanden. Man stellte Gelder für Renovierungsarbeiten bereit, und Mitte der Achtzigerjahre erstrahlte die Kirche wieder in ihrem alten Glanz, wunderschön und etwa so unpassend in dieser Umgebung aus alten, planlos errichteten Wohnsilos wie eine Prinzessin auf dem Fischmarkt. Die Wohnblöcke standen so dicht an dicht, dass eine Seite immer im Schatten lag und nur die andere Sonne bekam. Wie beim Mond. Da in diesen Sozialbauten jede Menge Kinder und Jugendliche lebten, ließ die katholische Kirche nicht locker, bis sie der Stadt das perfekt instand gesetzte Gebäude des ehemaligen Konvents abgeschwatzt und daraus ein Jugend- und Gemeindezentrum gemacht hatte.
Ein Jugendzentrum mitten im Krisengebiet, dessen Klientel sich aus schwierigen Jugendlichen zusammensetzte, die immer mit einem Bein auf dem Bolzplatz und dem anderen im Jugendknast standen, doch Don Mario, einem dieser Priester, die schon komplett mit Soutane und Römerkragen als Gemeindepfarrer auf die Welt zu kommen scheinen, gelang es bereits seit mehreren Jahrzehnten, diese Jungs unter Kontrolle zu halten, allerdings mehr unter Einsatz seiner stahlkappenverstärkten Stiefel als mit Hilfe der Erleuchtung durch den Heiligen Geist.
Ivan war einer dieser schwierigen Jugendlichen.
Alles sprach dafür, dass Ivan Della Seta seine Kindheit im Beccaria-Gefängnis, der
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