Denn die Gier wird euch verderben - Thriller
der erste Stock.
Aber er sah den Kollegen an, dass das nicht stimmte.
»Wie ist das gelaufen?«, fragte er.
Alle starrten zu Boden. Dann sahen sie ihn an.
»Mit dem Kopf zuerst«, sagte Anna-Maria Mella. »Ist genau vor der Notaufnahme auf dem Asphalt gelandet.«
F LISAN UND E LINA LIEGEN auf der Ausklappbank in der Küche. Es ist mitten in der Nacht, aber die Sonne geht nicht unter, und es ist so hell wie am helllichten Tag.
Sie tuscheln leise miteinander. In der Kammer schnarchen und furzen die Schlafgänger. Elina hat sich die Augen ausgeweint. »Du musst jemanden kennen«, sagt sie zu Flisan. »Eine, die es wegmachen kann.«
Flisans Herz krampft sich zusammen, wenn sie Elina so reden hört. Ihrem Gott ist es egal, dass sie und Johan Albin miteinander schlafen. Da ist sie sich ziemlich sicher. Dass Christus mehr oder weniger ihre Ansichten teilt; man soll Verantwortung für die Familie übernehmen, nicht den Lohn vertrinken. Man soll gerecht sein und Mitleid haben. Außerdem jedoch: Man soll kein Leben auslöschen.
»Wir schaffen das«, flüstert sie Elina zu. »Wir können aus Kiruna weggehen, du und ich und Johan Albin. Er und ich können das Kind adoptieren, wenn du willst. Dann kannst du weiterhin als Lehrerin arbeiten. Wir können alle vier zusammenwohnen. Oder du kannst seine Mutter sein. Wir helfen einander mit dem Kleinen. Es gibt auch andere Arbeit als den Lehrerinnenberuf, weißt du.«
Sie drückt Elina und flüstert, dass alles in Ordnung kommt, alles in Ordnung kommt, alles kommt in Ordnung.
Und Elina tut es nicht. Sie lässt das Kind, das in ihr heranwächst, nicht wegmachen. Sie bringt es nicht über sich. Noch den ganzen Juli hindurch kann sie ihren Zustand verbergen. Während der Sommerferien wird sie ja ohnehin nicht bezahlt.
Im August wird ihr, wie nicht anders zu erwarten, mitgeteilt, dass die Bergwerksgesellschaft eine neue Lehrerin eingestellt hat, die sie ersetzen soll.
Sie begleitet Flisan, die in diesem Sommer und Herbst wie eine Besessene arbeitet. Weniger im Haus des Direktors, denn Lundbohm ist ständig auf Reisen. Aber Flisans Dienste sind gefragt. Sie kann Wäsche bleichen und Holz hacken. Flisan bittet sie eindringlich, sie zu begleiten. Elina kann bei den Dingen helfen, die nicht so anstrengend sind. Und sie kann doch vorlesen!
Während Flisan Handtücher säumt oder bei den Ingenieursgattinnen Vorhänge auswechselt, liest Elina aus Dickens’ Oliver Twist und aus Jane Austens Emma vor.
Flisan und ihre Gehilfinnen finden es alle miteinander so ungeheuer spannend, dass man den ganzen Tag arbeiten und das Essen vergessen kann. Und wie Elina liest! Es ist wie im Theater.
Die Bücher! Sie lindern Elinas Qualen. Wenn sie liest, muss sie nicht an Hjalmar oder an die Zukunft denken.
Das Kind strampelt in ihr und drückt den Kopf so fest gegen ihren Brustkorb, dass sie ihre Rippen festhalten muss. Es tritt so kräftig, dass ihr Bauch sich ausbeult.
Die Ingenieursgattinnen und die anderen Lehrerinnen grüßen sie nicht, wenn sie ihnen auf der Straße begegnet. Aber in Kiruna leben nur junge Menschen, Arbeitsleute, und die brüten die ganze Zeit Kinder aus. Es wimmelt nur so von dicken Bäuchen, und nicht alle sind verheiratet; es gibt genug, die sie grüßen und mit denen sie sich unterhalten kann. Man kann politische Versammlungen und Vorträge und sogar mit Flisan die Heilsarmee besuchen, um sich die Gitarrenmusik anzuhören, ohne angestarrt zu werden.
»Es wird sich alles finden«, sagt Elina zu sich und zu dem Kind in ihrem Leib.
Und Flisan hat ihre unbezwinglich gute Laune eisern im Griff.
»Ich kann für drei arbeiten, das weißt du doch«, sagt sie.
Und sie lacht. Selbst wenn Elina noch so niedergeschlagen ist und Johan Albin mit Blut in den Ohren vom Steinbrecher heimkommt. Mit ihrem Lachen verscheucht sie den Schatten des Obergrubenvogtes aus der Küche.
Am 3. November bringt Elina Pettersson in ihrer Küche einen Jungen zur Welt. Die Hebamme versetzt ihm einen Klaps auf den Po und sagt »prächtig« und »schön wie die Mutter«.
Sie haben beschlossen, dass er Frans heißen soll. Und Elina findet, im Kirchenbuch solle Frans Olof stehen. Hjalmar Lundbohm heißt mit zweitem Vornamen Olof, und die Engel können zwischen den Zeilen lesen. Sie sehen das, was wichtig ist, und achten nicht weiter auf das verhasste Wort »unehelich«.
E S WAR ZEHN VOR SECHS . Die Pressekonferenz würde bald beginnen. Die Pressemeute heulte blutrünstig.
Von Post ging unstet im Gang
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