Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
Flitterwochen eine Kreuzfahrt nach Europa unternommen, so geruhsam, dass die Uhr jeden Tag nur eine Stunde vorgestellt werden musste. Wenn man es recht bedachte, sollten Frischvermählte eigentlich immer eine Woche auf See verbringen, um sich in der unwirklichen Welt der Kabine auf die allzu wirkliche Realität der Ehe vorzubereiten. Trudy und Terry Tackett – Wie süüüüüüüüüüß! , hatte ihre Zimmergenossin am Sweet Briar College gejubelt, als sie von ihrer allerersten Verabredung zurückkam und schon wusste, dass sie diesen Mann einmal heiraten würde – blieb nur ein Wochenende im Waldorf Astoria. Er war Militärchirurg und musste Montag zum Dienst antreten.
Ein Wochenende, eine Woche, ein Monat, ein Jahr im Waldorf Astoria hätten Trudy nicht auf das Leben vorbereiten können, in das sie gestoßen wurde, als sie mit zwanzig das College abbrach und Terry heiratete. Sie gehörte der letzten Generation an, die so etwas tat. Vietnam zeichnete sich ab, auch wenn man noch nicht von Vietnam sprach. Bevor sie sich’s versah, war sie in Deutschland, dann in Fort Sam Houston in San Antonio und bekam beängstigend schnell nacheinander ihre Söhne. Terrence III ., Tommy, Sam. Terry hatte ihn Travis nennen wollen, nach einem der Helden von Fort Alamo, aber Trudy hatte scharf widersprochen, dass es mit dem »T« auch mal gut sein müsse. Das war zu süüüüüüüüüüüüüüüüß. Als Familie waren sie beinahe gefährlich beneidenswert süß. Das sah Trudy auf ihren Weihnachtskarten, in ihrem zufriedenen Machohaushalt, in dem Knochen brachen, Zähne ausgeschlagen und Finger fast abgetrennt wurden und in dem doch alle zurechtkamen, sogar aufblühten. Ihre Söhne waren wie einem Science-Fiction-Roman entsprungen, nichts konnte ihnen etwas anhaben. Irgendwann glaubte sie fast, wenn jemand den Kopf verlöre, würde einfach ein neuer nachwachsen.
Dann folgten drei Fehlgeburten und schließlich Holly, die Trudy mit dreiunddreißig zur Welt brachte. Zu sagen, die Familie sei in Holly vernarrt gewesen, hätte nicht ausgereicht; zu sagen, sie habe sie angebetet, wäre Blasphemie, und damals war Trudy noch eine gute Katholikin gewesen. Holly war eines dieser goldigen Kinder, die sogar mürrische Fremde zum Lächeln brachten. Aufgeschlossen, lebhaft, reizend. Ihr Vater und ihre Brüder entwickelten einen extremen Beschützerinstinkt; schon als Holly noch ein pummeliges Grundschulkind war, sahen sie überall Triebtäter lauern. Trudy allerdings hatte immer die Sorge, dass Hollys Anziehungskraft größer war, dass sie über das Sexuelle hinausging. Sie war wie ein junger Welpe, den jeder knuddeln, festhalten, besitzen wollte. Selbst jemand, der noch nie versucht gewesen war, eine einzige Regel zu brechen, könnte dieses Kind stehlen wollen. Wenn Trudy auch nur einen Moment lang von Holly getrennt war, in einem Geschäft oder einem Supermarkt, hatte sie Angst, jemand könnte so verzaubert von ihr sein, dass er sie verschwinden ließ. Trudy war nicht froh über die Fehlgeburten, das nie, aber sie redete sich ein, es sei nicht schlecht, dass es diesen Altersunterschied zwischen den Jungs und Holly gab und dass sie das einzige Mädchen war. Man hätte keinem Mädchen, überhaupt keinem Gleichaltrigen zumuten wollen, mit Holly zu konkurrieren. Trudy spielte gern ihr Dienstmädchen, die Amme ihrer Julia, aber ein Mädchen in ihrem Alter hätte ihre Tochter sicher nicht gemocht.
Elizabeth Lerner hatte sie sicher nicht gemocht.
Nachdem Trudy ihren Kleiderschrank inspiziert und das Schlafzimmer wieder aufgeräumt hatte, schleppte sie sich pflichtgetreu zu ihrem täglichen Spaziergang. Es war ein wunderbarer Herbsttag, ihr Stadtteil Old Town gab sich schön wie selten. Scharlachrote und goldene Blätter trudelten auf die Gehwege, als wäre die Stadt eine Theaterbühne, über die sich jemand aus dem Himmel beugte und in passenden Abständen Seidenblätter fallen ließ. Der Tag strahlte, das ganze Viertel strahlte – die Schaufensterscheiben blitzten, aus den Restaurants drangen köstliche Düfte, Fußgänger schlenderten ziellos umher, als sei ihre einzige Aufgabe, sich diese Schönheit bewusst zu machen.
Wie sehr sie das hasste, das alles schon seit dem Tag verabscheute, an dem sie hierhergezogen waren, obwohl sie selbst für den Umzug plädiert und den neuen Wohnort ausgesucht hatte. Die Jungs waren aus dem Haus, wie üblich bei Söhnen, die eingebunden waren in die Familien ihrer Ehefrauen; und weil sie die Feiertage jetzt
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