Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
reihum bei den Kindern verbrachten, brauchten Trudy und Terry kein großes Haus mehr. Es war einfacher, wenn sie ihre Söhne einzeln besuchten – rauf nach Boston, rüber nach Kansas City, runter nach Jacksonville. Außerdem war ihr Haus in der Stadt nicht nur klein, ihm fehlte auch jeder … Gehalt. Alle vertrauten Dinge waren da, die Möbel mit ihrer Geschichte, Gemälde von Trudys Familie, das Alltagsgeschirr, das gute Porzellan, aber es kam ihr vor wie ein Bühnenbild oder eines der nachgebauten Zimmer im Smithonian. Sie stellte sich den nasalen Sermon eines Museumsführers vor: In diesem Raum hat die Familie Tackett ihre Mahlzeiten zu sich genommen (ohne Appetit) , hier wurde (unruhig) geschlafen . Das Haus war nicht weniger Mausoleum als das echte auf dem Hollywood Cemetery.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie mindestens noch fünfzehn Minuten laufen musste, um die Anweisung ihres Arztes zu erfüllen, deshalb bog sie in die Princess Street Richtung Founders Park ein. Nachdem sie ihr Gewicht immer gehalten hatte, war sie schockiert gewesen, als Dr. Garry ihr bei der letzten Untersuchung einen Vortrag über Diät und Sport gehalten hatte. »Ich wiege zwei Pfund weniger als bei meiner Hochzeit«, hatte sie gesagt. Aber wie Dr. Garry richtig erkannt hatte, hatte sie vor allem deshalb nicht zugenommen, weil sie so wenig wie möglich aß und dazu rauchte. Sie hatte grenzwertig erhöhten Blutdruck und einen besorgniserregend hohen Cholesterinspiegel. Genauer gesagt fand ihn der Arzt besorgniserregend. Trudy war nicht im Geringsten beunruhigt. Als sie merkte, dass ihre Haare dünner wurden, möglicherweise als Nebenwirkung des Statins, das er für ihr Cholesterin verschrieben hatte, setzte sie das Medikament einfach ab. Sie fragte sich, wie lange sie damit durchkommen würde.
Aber sie ging spazieren, wie er geraten hatte, und machte alberne kleine Übungen mit Suppendosen. Sie war nicht depressiv, egal was ihr Arzt dachte, und sie war alles andere als apathisch oder autodestruktiv. Sie rauchte tatsächlich gerne, auch wenn das die Nichtraucher der Welt nie verstehen würden. Sie hatte nur damit aufgehört, damit sie vor ihren Kindern nicht wie eine Heuchlerin dastand. Während der Verhandlungen hatte sie heimlich ein, zwei Zigaretten am Tag mit einem der Assistenten des Staatsanwalts geraucht, weil sie sich dabei gut mit ihm unterhalten und herausfinden konnte, wie es lief. Sie kaufte nie Zigaretten, sondern schnorrte nur, deshalb hatte sie sich nicht als Raucherin betrachtet. Als alles seinen Weg durch die Instanzen gegangen war, rauchte sie wieder richtig, bis zu einer Schachtel am Tag. Jetzt war sie auf fünf Zigaretten herunter und unterteilte die Tage mit diesen kleinen Freuden. Die erste paffte sie in der Waschküche bei einer Tasse Tee, nachdem Terry zur Arbeit gegangen war. Die zweite war am frühen Nachmittag dran, nach ihrem verordneten Spaziergang. Nummer drei rauchte sie um Punkt drei Uhr bei einer weiteren Tasse Tee, aber dieses Mal in der Küche, während sie im Radio Fresh Air hörte und ihre nicht so frische Luft aus dem Fenster pustete. Die vierte folgte nach dem Abendessen, wieder in der Waschküche, und die fünfte rasch im Gästebad vor dem Zubettgehen. Terry wusste es natürlich; er war nicht dumm, und riechen konnte er auch. Er wusste es, und er sagte nichts dazu. Ob er ebenso nachsichtig sein würde, wenn er mitbekam, dass sie das Lipitor nicht mehr nahm, dass ihr Cholesterin auf über dreihundert gestiegen war und ihr Blutdruck bei hundertachtunddreißig zu neunzig gelegen hatte, als sie ihn zuletzt in der Drogerie gemessen hatte?
Sie hatte den Park erreicht. Terry hatte ihr mal erklärt, dass der Yachthafen in Virginia lag, der Potomac aber, zumindest hier, als Teil von Washington galt. Wer traf solche Entscheidungen? Warum war das wichtig? Sie dachte an die Landvermesser, die sich den Abhang vorsichtig hinuntergetastet hatten, und an die allzu passenden Namen auf der Karte: Lost River, Lost City. Am Ende hatten sie gewonnen, aber sie hatte Walter Bowman zutiefst gehasst, weil er ihnen das aufgezwungen hatte, weil sie beweisen mussten, auf welcher Seite der Staatsgrenze er ihre Tochter ermordet hatte.
Jetzt würde er endlich sterben. Wenn das geschehen war, würde Trudy entscheiden, wie sehr sie leben wollte, ob sie die Zigaretten wegwerfen und das Lipitor wieder nehmen würde. Sie hatte die Tabletten in einer Tupperdose gebunkert und die Rezepte weiter eingelöst, um nicht
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