Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
Kragen ab. Sie hatte ihn vor fünf Jahren bei Saks für einen ganz bestimmten Anlass gekauft und würde ihn erst tragen, wenn der Tag gekommen war.
Dieser Hosenanzug war für Walter Bowmans Hinrichtung bestimmt. In diesem Herbst. Sie würde ihn in diesem Herbst tragen. Am 25. November. Aller guten Dinge sind drei.
In Gedanken hatte sie den ganzen Tag verplant, bis ins kleinste Detail. Zeit dazu hatte sie weiß Gott genug. Sie würden mit Terrys Auto nach Jarratt fahren. Soweit sie wusste, wäre es ihnen möglich, der Presse aus dem Weg zu gehen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit zuzusehen, aber sie würde auch kein Problem damit haben, falls das nicht der Fall sein sollte. Sie würde mit hocherhobenem Kopf an den Demonstranten vorbeigehen und ein paar angemessen ernste Worte an die Presse richten. Bei den unvermeidlichen Fragen, wie sie sich fühlte, würde sie nicht einmal mit der Wimper zucken, und ehrlich gesagt wusste sie nicht, wie sie sich fühlen würde. Erschöpft vor allem, ausgelaugt von dem, was sie durchmachen musste. Zugegeben, in den letzten zweiundzwanzig Jahren hatte man sehr wenig von ihr verlangt. Die Staatsanwälte – Bowman hatte drei von ihnen verschlissen – hatten gute Arbeit geleistet, hatten zwei Berufungen und ein Wiederaufnahmeverfahren lang durchgehalten. Es war Trudys eigene Entscheidung gewesen, jeden Tag dort zu sein, damit die Geschworenen und Richter wussten, wie sehr Holly vermisst und betrauert wurde. Doch dazusitzen und zu warten war alles, was sie getan hatte. Trotzdem kam sich Trudy wie ihre frühere Bekannte vor, die bei jedem Flug unablässig an ihrer Armlehne zerrte, als könnte sie das Flugzeug damit in der Luft halten. Sie kam überall mit pochenden Schmerzen vom Handgelenk bis zum Ellbogen an, aber immerhin kam sie an, nicht wahr? Sollte ihr mal jemand das Gegenteil beweisen.
Auch für die Zeit im Anschluss an die Hinrichtung hatte Trudy einen Plan. Sie und Terry würden direkt nach Richmond fahren und im Jefferson Hotel übernachten. Am nächsten Morgen würde sie Hollys Grab auf dem – was für ein unglücklicher Name – Hollywood Cemetery besuchen. Mehrere Generationen von Terrys Familie lagen dort. Der Friedhof war schön, beinahe zu schön, ständig trampelten Touristen darüber, um die Präsidentengräber, unter anderem das von Jefferson Davis, zu besuchen und sich die Statue des schwarzen Hundes anzusehen, der am Grab eines kleinen Mädchens Wache hielt. Nach Hollys Bestattung hatte Trudy gedacht, sie könnte es nicht ertragen, ihre jährlichen Besuche gemeinsam mit den desinteressierten Touristen zu unternehmen, doch dann stellte sich heraus, dass sie diese gar nicht wahrnahm.
Der Hollywood Cemetery erwies sich sogar als der einzige Ort, an dem ihre Traurigkeit einen Platz fand, wie ein Juwel in einer vollkommenen Fassung. Dort war Trauer erlaubt. In der Welt außerhalb des Friedhofs – zuerst in Middleburg, jetzt in Alexandria – begingen die Leute stets den Fehler zu glauben, sie könnte wieder glücklich sein. Trudy hatte es versucht, sie hatte es wirklich versucht. Sie war ein höflicher Mensch, und das hieß, dass man anderen ein gutes Gefühl gab, auch wenn es einem selbst dadurch dreckig ging. Aber das schaffte sie nicht, es war zu aufreibend. Nein, nur auf dem Friedhof konnte sie einfach sein. Selbst die Entfernung war ein Segen, zwei Stunden Fahrt, wenn sie gut durchkamen, gaben ihr genug Zeit für den Wechsel zurück in die Welt, in die sie nicht passte. »Du hast so viel, worüber du dich freuen kannst«, beharrten wohlmeinende Freunde und meinten damit Trudys Söhne und deren Kinder, die alle glücklich und gesund waren. Das hieß, ihre Söhne waren gesund, und für ihre Kinder, die Holly nie kennengelernt hatten, gab es keinen Grund, nicht glücklich zu sein. Für diese guten Dinge war Trudy dankbar, aber sie kamen ihr vor wie Münzen in einem Brunnen, wie Wünsche, die nur wahr wurden, wenn man an die Zauberkraft von Wünschen glaubte. Ihretwegen hätte der Friedhof ruhig ein, zwei Stunden weiter entfernt liegen dürfen. Dann hätte sie länger unglücklich sein können, ohne sich dafür entschuldigen zu müssen.
Trudy hatte viel über Reisen nachgedacht und darüber, wie große Fahrten durch Geschwindigkeit verändert wurden. Ihre Vorfahren hatten die Neue Welt im achtzehnten Jahrhundert mit Schiffen erreicht, die Monate für die Überfahrt von Frankreich nach Charleston gebraucht hatten. Ihre eigenen Eltern hatten in den
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