Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn niemand hört dein Rufen

Denn niemand hört dein Rufen

Titel: Denn niemand hört dein Rufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
sein müssten, dass die Anklage seine Schuld bewiesen habe, ohne dass ein begründeter Zweifel bestehen bleibe.
    »Ich möchte für Sie definieren, was wir mit diesem Ausdruck ›ohne begründeten Zweifel‹ meinen«, fuhr der Richter fort. »Es bedeutet, Sie müssen felsenfest von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein. Wenn Sie nicht felsenfest von der Schuld des Angeklagten überzeugt sind, dann müssen Sie ihn für nicht schuldig erklären.«
    Emily hörte zu, als der Richter die Beweispflicht der Anklage näher erklärte.
    Die Geschworenen müssen felsenfest davon überzeugt sein, dass Gregg Aldrich schuldig ist, dachte Emily. Bin ich denn selbst felsenfest überzeugt? Hege ich einen begründeten Zweifel? Noch nie habe ich so ein komisches Gefühl gehabt wie bei diesem Fall. Ich habe noch nie versucht, die Geschworenen von jemandes Schuld zu überzeugen, wenn ich nicht selbst hundertprozentig überzeugt war, ging ihr
durch den Kopf. Aber im vorliegenden Fall habe ich manchmal begründete Zweifel an Aldrichs Schuld und dann wieder nicht.
    Sie blickte hinüber zu ihm. Für jemanden, der gestern am Rand der Verzweiflung stand, und der, wenn es zu einem schnellen Schuldspruch kommen sollte, damit rechnen musste, noch heute Abend in einer Gefängniszelle zu landen, wirkte er bemerkenswert gefasst. Er trug Sakko und Hosen, dazu ein blaues Hemd mit einer blau-rot gestreiften Krawatte, eine etwas lässigere Kleidung, als er sie während des Prozesses getragen hatte. Es steht ihm, dachte sie wider Willen.
    Richter Stevens sprach immer noch zu den Geschworenen: »Sie müssen die Glaubwürdigkeit jedes einzelnen Zeugen sorgfältig prüfen und beurteilen. Sie sollten dabei auch die Art und Weise bedenken, in der der Zeuge ausgesagt hat, und ob er irgendein persönliches Interesse am Ausgang dieses Prozesses hat.«
    Er unterbrach sich und fuhr dann in noch ernsterem Ton fort: »Sie haben Jimmy Easton als Zeugen gehört. Sie haben von seinen Vorstrafen gehört. Sie haben erfahren, dass er mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeitet und dass diese Zusammenarbeit im Gegenzug auch belohnt wird. Er wird dafür eine beträchtliche Verringerung seiner Haftstrafe erhalten.«
    Emily musterte die sieben Männer und sieben Frauen auf der Geschworenenbank. Sie fragte sich, welche beiden von ihnen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden würden, um als Stellvertreter zu dienen, wenn Richter Stevens seine Belehrung beendet hatte. Sie hoffte, dass die Geschworenen Nummer vier und acht ausgelost werden würden. Beide Frauen schienen zusammenzuzucken, als
der Richter die Verringerung von Eastons Haftstrafe erwähnt hatte. Vermutlich konnten sie sich sehr gut vorstellen, wie er ihre eigenen Häuser ausraubte. Emily bezweifelte sehr, dass sie Easton auch nur ein Wort glaubten.
    Sie sah wieder zu Richter Stevens. Sie war froh über den geschäftsmäßigen Ton, in dem er über Jimmy Easton gesprochen hatte. Wenn die Geschworenen auch nur den Hauch einer Ablehnung gespürt hätten, hätte das schwerwiegende Folgen haben können.
    »Sie werden diese beträchtliche Verringerung in Ihre Erwägungen mit einbeziehen müssen«, sagte der Richter, »genauso wie die übrigen Umstände, wenn Sie seine Aussage beurteilen. Diese Zeugenaussage muss sehr genau untersucht werden. Wie bei allen anderen Zeugen können Sie alles davon glauben oder gar nichts davon glauben. Sie können aber auch nur einen Teil davon glauben und das Übrige verwerfen. Noch einmal sei gesagt, meine Damen und Herren, die letztgültige Entscheidung über die Glaubwürdigkeit seiner Zeugenaussage liegt allein in Ihrer Hand.«
    An diesem Vormittag war der Saal weniger als halb voll. Es ist nicht besonders spannend für die Zuschauer, sich die Belehrung der Geschworenen anzuhören, dachte Emily. Die richtige Dramatik kommt nur während der Zeugenbefragung auf – und in dem Augenblick, in dem die Geschworenen mit dem Urteilsspruch in den Saal zurückkehren.
    Richter Stevens lächelte den Geschworenen zu. »Meine Damen und Herren, damit möchte ich meine Bemerkungen abschließen. Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, an dem es für zwei von Ihnen eine herbe Enttäuschung geben wird. Wir werden jetzt nämlich die Stellvertreter bestimmen. Ihre Geschworenenkarten wurden in diesen Kasten
gelegt, und die Gerichtsdienerin wird nun willkürlich zwei Karten daraus entnehmen. Wird Ihr Name aufgerufen, dann nehmen Sie bitte in der ersten Reihe Platz. Ich werde Ihnen dann weitere

Weitere Kostenlose Bücher