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Denn rein soll deine Seele sein

Denn rein soll deine Seele sein

Titel: Denn rein soll deine Seele sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Stein saß tief über eine Talmudausgabe gebeugt. Sein Blick fixierte den Text, der vor ihm lag, doch seine Hände und Beine zuckten verräterisch. Man merkte, daß er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Er hatte einen schwarzen Spitzbart, trug ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, schwarze Hosen und eine große schwarze Jarmulke.
    Warum war der Mann bloß so ablehnend? Was versprach er sich von dieser geringschätzigen Art? Decker überflog seine Notizen. »Gehen wir Ihre Aussage noch einmal durch.«
    »Wozu soll das gut sein?«
    »Das kann ich möglicherweise besser beurteilen als Sie.«
    »Sie haben hier überhaupt nichts zu beurteilen. Sie sind kein Richter, sondern Polizist. Ich erkenne nur einen Richter an - den, vor dem ich mich letztlich verantworten muß.«
    »Aber jetzt bin ich erst mal dran. Warum wollen Sie meine Fragen nicht beantworten?« Stein schwieg.
    »Sie haben, während Florence Marley ermordet wurde, zusammen mit Ihrem Partner studiert?«
    »Ja.«
    »Die ganze Nacht?«
    »Ja.«
    »Sie haben den Raum nicht verlassen?«
    »Nein.«
    »Auch nicht, um mal frische Luft zu schnappen?«
    »Nein.«
    »Um etwas zu essen? Um auf die Toilette zu gehen?«
    »Nein.«
    »Sie haben alle natürlichen Bedürfnisse vierundzwanzig Stunden lang unterdrückt, Mr. Stein?«
    »Das Thorastudium befreit den Menschen, so daß er Banalitäten wie natürliche Bedürfnisse vergißt. Das Wort Gottes erhebt uns aus dem Körperlichen ins Geistige. Ich versuchte, die Erdenschwere abzuschütteln und Hadokush Boruch nah zu sein. Von solchen Dingen wissen Sie natürlich nichts.«
    »Dafür weiß ich, daß in der Zeit, als Sie Ihre himmlischen Schwingen ausbreiteten und in geistige Höhen entschwebten, Florence Marley von einem Psychopathen abgeschlachtet worden ist. Draußen gab es einen Mordsaufstand. Davon haben Sie nichts mitgekriegt?«
    »Ich habe studiert.«
    Decker klopfte mit dem Bleistift auf seinen Block. Zu gern hätte er dem Mann seine Selbstgerechtigkeit ausgetrieben. »Wie fühlt man sich denn so, wenn man vom Zuhälter zum Betbruder avanciert, Scotty Stevens?«
    Stein wurde rot vor Zorn. »Sie mieser Antisemit, Sie! Schikanieren unschuldige Juden, Sie sheygez, bloß um einer Frau zu imponieren, die für Sie unerreichbar ist. Sie sind ein Goj, Decker. Lieber läßt sie sich von dem letzten Dreckskerl von Juden Gewalt antun, als Sie anzurühren. Fragen Sie sie ruhig, fragen Sie, was die Halacha dazu sagt.«
    »Warum? Sind Sie der Dreckskerl von Jude, der versucht hat, ihr Gewalt anzutun?«
    »Ziehen Sie Leine.« Stein sah wieder in sein Buch. »Niemand kann also bezeugen, wo Sie sich in der fraglichen Zeit aufgehalten haben - bis auf Ihren Partner.«
    »Ja.«
    »Hat Mr. Mendelsohn Sie irgendwann einmal allein gelassen, um einem natürlichen Bedürfnis nachzugehen, oder war er auch in überirdische Sphären entrückt?«
    »Das weiß ich nicht mehr. Warum fragen Sie ihn nicht selber?«
    »Das werde ich tun, Mr. Stein. Und wenn sich irgendwelche Diskrepanzen ergeben, werden Sie von mir hören.«
    »Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Amalek bleibt Amalek.«
    Decker schrieb sich das Wort auf und beschloß, Rina danach zu fragen. Er ließ sich nicht gern Schimpfworte an den Kopf werfen, die er nicht verstand.
    »Ich wüßte nicht, was ich Ihnen über Shlomos Aussage hinaus noch sagen könnte. Wir waren die ganze Nacht zusammen.«
    »Nur ein paar Fragen, Mr. Mendelsohn.«
    »Dann bitte rasch, es ist fast Zeit für die minche.«
    Mendelsohn wiegte sich vor und zurück, vermied Deckers Blick und kaute an dem schon arg strapazierten Daumennagel. Das Gesicht mit dem blonden Vollbart war hübsch und jugendlich. Glatte Haut, hellblaue Augen, fast zu zarte, feine Züge. Das blonde Haar war bis auf ein paar Strähnen unter dem schwarzen Hut versteckt.
    »Haben Sie Stein irgendwann mal allein gelassen?«
    »Allein? Nein.«
    »Auch nicht, um etwas zu essen oder zur Toilette zu gehen?«
    »Kann sein, daß ich auf der Toilette war. Ach ja, ich habe meine Frau angerufen und ihr gesagt, daß ich nicht heimkommen würde.«
    »Wann?«
    »Genau weiß ich das nicht mehr. Es muß so um acht gewesen sein.« Mendelsohn bearbeitete seinen Daumen, bis ein rotes Rinnsal hervortrat. Er lutschte das Blut ab und nahm sich den Zeigefinger vor.
    »Wie lange dauerte das Gespräch?«
    »Ich habe den Münzfernsprecher in der Halle benützt und war schätzungsweise fünf Minuten weg. In der Zeit hätte Shlomi unmöglich verschwinden, morden und wieder

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