Denn rein soll deine Seele sein
zurückkommen können. Und ich hätte den Mord in der Zeit auch nicht geschafft. Was soll die Fragerei?« Er verzog das Gesicht und ballte die Fäuste.
»Ich weiß schon, es ist wegen Shlomis Vergangenheit. Schön, die kann man nicht ungeschehen machen, aber ich werde nicht zulassen, daß Sie ihm deswegen die Zukunft verbauen. Rina kann sagen, was sie will - ich bleibe dabei, daß er sich geändert hat.«
»Gibt es für euch beide eigentlich noch was anderes außer den Büchern?«
Mendelsohn sah ihn verständnislos an. »Was, zum Beispiel?«
»Ich meine irgendein Hobby, Angeln meinetwegen. Reden Sie auch hin und wieder über weltliche Dinge?«
»Es gibt nichts außer der Thora. Alles andere ist narrischkeit.«
»Und was ist mit Ihrer Familie, Ihrer Frau?«
Mendelsohn machte ein bestürztes Gesicht. »Wie meinen Sie das?«
»Sind die auch narrischkeit?«
»Natürlich nicht. Sie sind Teil der Thora.«
»Reden Sie mit Ihrer Frau über die Thora?«
»Nein, das heißt ja. Soweit es dabei um den Haushalt, die Kindererziehung geht. Aber wir lernen nicht zusammen.«
»Warum nicht?«
Mendelsohn lachte ein bißchen. »Man lernt nicht die Gemara mit seiner Frau.« Er schüttelte den Kopf. »Ayzeh goische kop.«
»Ihre Frau weiß also, daß Sie die ganze Nacht über den Büchern saßen?«
»Ja.«
»Und das Alleinsein hat sie nicht gestört?«
»Natürlich nicht. Sie unterstützt das. Wäre ich sonst hier? Mein Thorastudium ist auch für sie die Erlösung.«
»Und Sie haben gegen acht bei ihr angerufen?«
»Worauf wollen Sie hinaus? Daß ich eine Schwarze ermordet habe, die ich überhaupt nicht kenne, und mir durch das Gespräch mit meiner Frau ein Alibi beschafft habe? Juden morden nicht, Detective, Juden sind keine Sittlichkeitsverbrecher.«
»Glauben Sie an die Zehn Gebote?« fragte Decker. »Natürlich.«
»Und daran, daß sie göttliches Gesetz sind?«
»Ja.«
»Und daß Gott sie den Juden gegeben hat?«
»Ja.«
»Und daß die Juden, denen Er sie gab, als rechtschaffene Menschen galten?«
»Was soll das?« Mendelsohn kaute jetzt am rechten Daumennagel.
»Wenn Gott so sicher war, daß rechtschaffene Menschen nicht morden würden, frage ich mich, was er sich bei dem Sechsten Gebot gedacht hat.«
Der Daumen begann zu bluten.
19
Deckers Ranch umfaßte vier Morgen Busch- und Grasland und Obstbäume. Es war früheres Weideland. Während des Immobilienbooms Ende der siebziger Jahre waren großartige Bebauungspläne für das Gebiet entstanden, aber als dann die Zinsen jäh anstiegen, hatte Decker das Brachland billig kaufen können. Nach der Scheidung hatte er das Bedürfnis gehabt, sich etwas Eigenes aufzubauen.
Sie rollten über eine schmale, ausgefahrene Straße, vorbei an Flachland mit sanften Hügeln. Hier und da stand ein Haus, eine Scheune, eine Obstbaumpflanzung. Nach langer, holpernder Fahrt hielten sie auf einem asphaltierten Platz neben einem Jeep und einem alten Porsche ohne Räder und aufgeklappter Motorhaube. An den Parkplatz schloß sich eine Zitruspflanzung an; die Orangen-, Zitronen- und Grapefruitbäume hingen voller Früchte. Ihr aromatischer Geruch erfüllte die heiße Sommerluft.
Die Jungen liefen davon, um zwischen den Bäumen Fangen zu spielen. Rina blieb stehen, reckte und streckte sich und sah sich um. Deckers bescheidenes Heim war ein eingeschossiges Gebäude, nach Art einer Scheune konstruiert. Die Wände waren rötlich, die Querbalken weiß gestrichen, unter dem Panoramafenster standen Pflanzenkübel mit Geranien und Fleißigen Lieschen. Alles wirkte sehr gepflegt. Decker schloß auf, Rina rief die Kinder, und sie betraten das Haus. Das sonnige Wohnzimmer hatte einen Boden aus unbehandelten Fichtenbrettern, auf denen ein Navajo-Webteppich lag, die Zimmerdecke war getäfelt. Der Raum war sparsam möbliert: Couch, zwei Stühle mit Wildledersitzen, ein Beistelltisch aus Holz, und am Fenster, mit Blick auf die Obstbäume, ein Liegesessel. Gegenüber der Couch war ein gemauerter Kamin.
Decker führte sie durch den anschließenden Eßbereich und vorbei an der Küche zur Hintertür. Hinter dem Haus befanden sich eine Scheune, Stallungen und der Auslauf für die Pferde. Heuballen waren an der Scheunenwand gestapelt, am Horizont zeichneten sich die Berge ab. Er entschuldigte sich, verschwand kurz in der Scheune und kam in Jeans, Stiefeln und T-Shirt wieder heraus, gefolgt von einem wild wedelnden Irischen Setter mit leuchtend kupferfarbenem Fell, der offenbar glückselig über das
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