Denn rein soll deine Seele sein
Plastikmesser kann ich nicht schneiden«, beklagte sich Jake.
»Dann nimm die Finger. Habt ihr was Interessantes gesehen?«
»Nur ein paar Präriehasen und Karnickel«, sagte Sammy.
»Nichts Gruseliges. Aber toll war's trotzdem. Ich kam mir vor wie ein Cowboy. Ob die Jeschiwa sich auch mal Pferde anschafft?«
»Nicht ausgeschlossen.«
»Dürfen wir einen Hund haben?«
»Nein, das Haus ist zu klein.«
»Einen kleinen Hund.«
»Nein.«
»Ganz doll still war's da draußen«, sagte Sammy träumerisch.
»Heiß war's.« Jake zog den letzten Safttropfen durch den Strohhalm. »Krieg ich noch was?«
Rina gab ihm noch einen Saft.
»Dürfen wir wieder mal herkommen?« fragte Jake.
»Ich glaube kaum«, erwiderte Rina leise.
»Warum nicht?« wollte Sammy wissen. »Peter ist es recht.«
»Man soll sich nicht aufdrängen. Außerdem fängt die Schule bald wieder an, und am Sonntag habt ihr shiur.«
»Nicht den ganzen Sonntag.«
»Denkt mal an den Fußballclub, den Computerclub, die Klavierstunden. Ihr habt ein volles Programm.« Sammy schob seufzend seinen Teller weg. »Was ist denn, Shmuel?«
»Nichts.«
Eine Weile aßen sie schweigend. Ginger, die in der Küche herumgelaufen war, kam jetzt an den Tisch und bettelte. »Darf ich Ginger ein Stück Huhn geben?« fragte Jake. »Da mußt du erst Peter fragen.«
»Tut mir leid, du«, sagte er zu der Setterhündin, die ihn seelenvoll ansah.
Rina strich Sammy zärtlich über den Arm. »Wir werden versuchen, wieder einen jüdischen Betreuer für euch zu bekommen.«
»Ich will keinen Betreuer«, maulte Sammy. »Warum denn nicht?«
»Die sind alle pervers, sagt Shmuel«, erklärte Jake. »Das ist nicht wahr.«
»Verrückt sind sie«, beharrte Sammy. »Der damals mit uns im Kino war, das war ein ganz Komischer.«
»Dann suchen wir eben, bis wir einen netten gefunden haben. Und die Jungs aus der Jeschiwa lassen euch doch auch gern mal mitspielen.«
»Aber nur ausnahmsweise. Im Außenfeld. Das bringt nichts.«
»Ihr wißt doch, warum Peter nicht euer Betreuer sein kann?«
»Ist ja schon gut.« Sammy kämpfte mit den Tränen. Rina strich ihm das Haar zurück und steckte die kipah fester. Jetzt kam auch Decker herein, mit nassem, glatt zurückgekämmtem Haar. Er brachte einen großen Karton mit.
»Ihr macht ja so lange Gesichter«, wunderte er sich. Rina machte ihm ein Zeichen, und er fragte nicht weiter. »Gebettelt wird nicht«, sagte er zu Ginger und stellte den Karton auf einen freien Stuhl. Dann gab er Hundefutter in ihren Napf.
»Darf ich Ginger ein Stück Huhn geben?« fragte Jake.
»Das Fett ist nicht gut für sie.«
»Was hast du in dem Karton?« wollte Shmuel wissen.
»Jüdische Bücher und Gegenstände, die der Großvater meiner geschiedenen Frau aus Europa mitgebracht hat. Nach seinem Tod wollte niemand sie haben, da habe ich sie genommen.«
Decker hob ein ledergebundenes Buch mit Goldschnitt hoch. »Könnt ihr damit was anfangen?«
Rina und die Kinder wuschen sich die Hände, und Jake nahm Decker das Buch ab. »Das ist ein machzor, ein Gebetbuch.«
Sammy sah hinein. »Ein Gebetbuch für Neujahr. Die eine Seite ist Hebräisch, aber die andere Sprache kenne ich nicht.«
»Es ist Deutsch«, entschied Rina. »Stammte der Großvater deiner Frau aus Deutschland?«
»Das weiß ich nicht.«
Rina griff nach einem in dunkelgrünes Leder gebundenen Band mit goldgeprägtem Titel. »Schaut euch nur diese herrlichen sepharim an.« Sie suchte nach dem Erscheinungsjahr. 1798.
»Viele jüdische Schriften sind im Krieg vernichtet worden, diese Sammlung ist unter Umständen sehr wertvoll, Peter.«
»Schau mal, Ima!« Sammy hielt eine etwa 30cm lange Schriftrolle in zarter Filigranarbeit in der Hand.
»Was ist das?« fragte Decker. »Man zieht an dem Streifen, dann kommt der Text aus dem Schlitz. Es hat schöne Illustrationen.«
»Megillas Esther«, stellte Sammy fest.
»Herrlich«, sagte Rina voller Ehrfurcht. »Schaut nur, wie klar und deutlich die Buchstaben sind.«
»Kannst du das lesen, Rina?« fragte Decker.
»Ist doch ganz leicht.« Jake ratterte die ersten Zeilen herunter.
»Und weißt du auch, was es heißt?«
»Ja, es geht um König Ahasver und sein Reich«, erklärte Sammy. »Was für Länder waren es doch gleich?«
»Von Indien bis Äthiopien«, half Rina aus. »Erstaunlich«, sagte Decker.
»Die Kinder sind zweisprachig aufgewachsen«, erläuterte Rina. »Yitzchak hat nur hebräisch mit ihnen gesprochen.«
»Was fängt man mit diesem Text
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