Denn rein soll deine Seele sein
in ein Buch vertieft hatte. »Willst du mit deinem Bruder draußen spielen?«
»Er liest gern«, erklärte Rina. »Sammy, setz dich in den Sessel, er ist bequemer, und du hast besseres Licht.«
Sammy antwortete nicht. Rina zupfte ihn behutsam am Ärmel. »Wenn er sich konzentriert, hört er nichts. Komm, Shmueli.«
Er stand auf und ließ sich widerstandslos zu dem Sessel am Fenster führen.
Peter war schon dabei, den Tisch abzuräumen. Er warf die Pappteller in den Mülleimer. »Sammy ist ein richtiger kleiner Rabbi.«
»Wie sein Vater.«
»Oder seine Mutter. Du kennst dich in diesen Dingen offenbar auch gut aus.«
»Nein, er ist wie sein Vater, sehr ernsthaft und zielstrebig. Jakey kommt mehr nach mir. Ob du's glaubst oder nicht, ich bin im Grunde ein eher unbeschwerter Typ.«
»Doch, das glaube ich dir schon. Du hast dich unter dieser Belastung sehr gut gehalten.« Decker zog ihr einen Stuhl heran. »Setz dich, ich mach das schon. Du bist heute mein Gast.«
Sie stützte seufzend das Kinn in die Hände. »Meinst du? Ich bin eigentlich ständig nervös und zappelig.«
»Findest du nicht, daß du mal ein bißchen Abwechslung verdient hättest?« Er sprach leise, damit Sammy ihn nicht hörte.
Sie wandte sich ab. »Die Bücher sind wunderschön, richtige Kunstwerke. Daß deine Schwiegereltern sie nicht haben wollten, ist mir unverständlich.«
»Sie waren nicht jüdischer als ich. Wir haben Weihnachten ebenso gefeiert wie Chanukka und haben zu Ostern Schinken gegessen. Als Cynthia zur Schule kam, sind wir sogar Mitglieder einer Unitarierkirche geworden. Meine geschiedene Frau hat darauf bestanden, daß unsere Tochter über ihre Religion selbst entscheidet, dabei hätte ich nichts gegen eine jüdische Erziehung gehabt. Mehr kann man sich wohl kaum assimilieren.«
»Da hast du recht.«
»Meiner Frage bist du übrigens geschickt ausgewichen.«
Rina sah rasch zu ihrem Sohn hinüber. »Ich kann mit dir nicht ausgehen, Peter. So gern ich auch mit dir zusammen bin.«
»Ich rede nicht von einem romantischen Rendezvous, sondern von einer ganz harmlosen Angelegenheit. Marge Dunn gibt mit ihrem Freund ein Hauskonzert, und ich bin eingeladen. Dabei hätte ich gern Gesellschaft.«
»Was spielt denn Marge?«
»Flöte.«
»Spielt sie gut?«
»Grauenhaft. Aber weil sie so ein netter Kerl ist, loben wir sie natürlich in den höchsten Tönen. Sie hatte immer Freunde, die Musiker waren, ihr Neuer ist Geiger. Sie wollen den armen Papa Haydn in die Mangel nehmen. Ich möchte dort nicht allein herumsitzen.«
»Werden denn nicht Kollegen von dir da sein, die du kennst?«
»Doch, aber die kommen alle in Begleitung, da fällt man als Einzelgänger doppelt auf. Bestimmt versucht dann jemand, mir eine Partnerin zu beschaffen, und darauf lege ich keinen gesteigerten Wert. Du würdest mir einen großen Gefallen tun.«
»Du hast bestimmt auch noch andere Frauenbekanntschaften«, sagte sie ein bißchen scharf. Sofort bereute sie die Bemerkung, die ihr unwillkürlich herausgerutscht war. Sie wurde rot.
Decker lachte. »Und ob. Die Damen stehen förmlich vor meiner Haustür Schlange.« Er war gerührt über die leise Eifersucht, die in der Frage schwang.
Sie wurde ernst. »Wenn nur Gefühle zählen würden, wäre ich schon längst mit dir ausgegangen, Peter. Ich mag dich gern. Das alles ist sehr schwierig für mich. Bitte, versuch mich zu verstehen. Meine Religion ist mein Leben.«
»Ich möchte dich etwas fragen, Rina. Würdest du mit mir ausgehen, wenn ich Jude wäre?«
»Warum nicht? Wenn du ein frommer Jude wärst...«
»Nur jüdisch zu sein, von der Herkunft her, meine ich, wie meine Tochter - das langt nicht?«
Rina zögerte. »Es ist nicht eine Frage von gut oder böse, Peter. Deine Tochter ist ein feiner Mensch, ungeachtet ihrer Religion. Es ist eine persönliche Entscheidung. Wenn ich mit assimilierten Juden zusammen bin, fühle ich mich ebenso unbehaglich wie in Gesellschaft von Nichtjuden. Wie konnte nur die Familie deiner Frau sich von Kostbarkeiten wie diesen Büchern trennen? Zum Thorajuden wird man nicht durch den Zufall der Geburt, dazu gehört viel mehr.«
Damit wäre das also erledigt, dachte Decker. Er ging zum Kühlschrank und holte eine Sechserpackung Bier heraus.
»Bitte, sei mir nicht böse.«
»Ich bin dir nicht böse.« Er machte eine der grünen Flaschen auf und nahm einen Zug. »Ich kann deiner Argumentation nicht so recht folgen, aber zumindest ist es ja nicht persönlich
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