Denn rein soll deine Seele sein
bildet auch einen Bestandteil der Sterbekleidung. Warum fragst du?«
»Nur aus Neugier. In einem meiner Kartons war auch so ein Gewand, ich habe es herausgenommen und in Plastikfolie eingeschlagen, damit es nicht vergilbt.«
»Weiß der Himmel, warum Moshe seinen kittel aufbewahrt hat«, sagte Rina nachdenklich. »Für einen Mann, dessen Ehe gescheitert ist, muß das ein schmerzliches Andenken sein.«
Decker lächelte traurig. »Wie wahr.«
20
Ein paar Stufen führten in den Chemiesaal hinunter, der im Souterrain lag. Decker sah sich interessiert in dem hellen, gut belüfteten Raum um. Dreißig moderne Laborplätze waren mit den üblichen Geräten ausgestattet - Bunsenbrenner, Kolben, Reagenzgläser, Schläuche, Meßapparaturen. An der hinteren Wand, an einem langen Arbeitstisch, standen zehn Computer. Gilbert saß vor einem der Monitore und tippte. Er drehte sich erst um, als Decker schon auf halbem Wege zu ihm war. Dann stand er auf und bot ihm einen Stuhl an.
»Danke.« Decker warf einen Blick auf die Computer - sechs von IBM, vier von Apple. »Ganz schöne Investitionen, die hier gemacht worden sind.«
»Die Eltern sind anspruchsvoller geworden. Wenn ihre Söhne aus der Schule kommen, sollen sie was mitbringen, was sich besser verkaufen läßt als Theologie.«
»Gibt das nicht Probleme mit den Rabbis?«
»Einige wenige, Rabbi Marcus zum Beispiel, finden das zwanzigste Jahrhundert äußerst unerquicklich, aber Rabbi Schulman ist sehr praktisch veranlagt, der weiß genau, wo sein Vorteil liegt.«
Gilbert nahm die Brille ab und putzte mit einem Papiertaschentuch daran herum. »Die Computer sind Geschenke von zwei wohlhabenden Familien, den Chemiesaal haben wir vor drei Jahren zum Selbstkostenpreis bekommen. Der Chef der Baufirma hatte einen seiner Söhne hier. Schulman versteht sich darauf, Geld lockerzumachen.«
»Unterrichten Sie gern in der Jeschiwa?«
»Job ist Job. Ich brauche das Geld.«
»Rina sagt, daß Sie hier besonders aufgeweckte Schüler haben.«
»Sehr aufgeweckt und sehr verwöhnt.«
»Ist es eine Herausforderung, sie zu unterrichten?«
Gilbert setzte die Brille wieder auf. »Manchmal. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die Eltern zu besänftigen, wenn ihre süßen Kleinen mal keine Hochleistungen bringen. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Ich habe nur ein paar Fragen.« Decker holte seinen Block heraus.
»Ich habe niemanden vergewaltigt.«
Eine eigenartige Reaktion. Daß jemand gleich als Einleitung jede Schuld ableugnete, war ungewöhnlich. Decker wartete. »Noch was?« fragte Gilbert gelangweilt. »Sie waren in Vietnam.«
»Stimmt.«
»Welche Einheit?«
»Das wissen Sie doch bestimmt schon.«
»Ich möchte es gern von Ihnen hören.«
»Ich war auf einer Schreibstube in Saigon. Bei den schweren Kämpfen bin ich nicht dabeigewesen.«
»Aus den Unterlagen geht hervor, daß Sie Scharfschütze waren.«
»Eine Woche lang. Dann hat man mich versetzt. Vielleicht hat irgend jemandem imponiert, wie gut ich tippen konnte.«
»War das nicht frustrierend? Verschenktes Können...«
»Ich bin heil wieder nach Hause gekommen, und das können viele nicht von sich sagen. Waren Sie drüben?« Decker nickte. »Als was?«
»Ich war Sanitäter.« Gilbert feixte. »Schöne Sauerei.«
»Seit wann kennen Sie Mrs. Lazarus?«
»Ich kenne Rina seit etwa fünf Jahren.«
»Kannten Sie ihren Mann?«
»Nur vom Sehen.«
»Hatten Sie den Eindruck, daß Rina und er gut zusammenpaßten?«
»Ich fand, daß sie was Besseres hätte haben können.«
»Haben Sie nach dem Tod ihres Mannes jemals daran gedacht, mit ihr auszugehen?«
»Ich kann bei ihr nicht landen, ich bin ja kein Jude. Und Ihnen gelingt das ebensowenig.«
Decker ging über die Bemerkung hinweg. »Wo waren Sie in der Nacht, als Florence Marley ermordet wurde?«
»Bei den Eltern meiner Verlobten. Da bin ich jeden Mittwochabend. Sie können das gern nachprüfen.«
»Wie heißen die Eltern Ihrer Verlobten?«
»MacLaughlin.«
»Wo waren Sie in der Nacht, in der Mrs. Adler überfallen wurde?«
»Welcher Wochentag war das?«
»Donnerstag.«
»Da hatte ich meinen Computerclub.«
»Wann ist dort Schluß?«
»Gegen zehn.«
»Der Überfall war gegen zehn.«
»Und?«
»Demnach waren Sie zu der fraglichen Zeit auf dem Gelände.«
»Rinas Söhne sind im Computerclub, Detective. Ich habe dafür gesorgt, daß sie reinkamen, weil ich mir dachte, daß sie bestimmt ihren Spaß an solchen Spielereien haben. Rina hat sie im Club
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