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Denn Wahrheit musst du suchen

Denn Wahrheit musst du suchen

Titel: Denn Wahrheit musst du suchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. J. Daugherty
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eigentlich Carter?«, fragte sie, während sie über eine matschige Kuppe sprang.
    Mr Ellisons Blick verdüsterte sich. »Zu spät, wie üblich.«
    »Oh.«
    Der Gärtner zeigte ihr gerade, wie man die noch kahlen Heidelbeersträucher von den Brombeerzweigen unterscheiden konnte, als sie plötzlich schwere Schritte hörten, die rasch näher kamen. Sie fuhren herum.
    Ehe Allie sichs versah, hatte Mr Ellison sich schützend vor sie gestellt; die schwere, eiserne Hacke hielt er so mühelos in der rechten Hand, wie sie vielleicht einen Bleistift geschwungen hätte.
    Der Gärtner war ein großer Mann, über eins neunzig, und hatte auf sie immer ein wenig schwerfällig gewirkt, doch nun sah er plötzlich aus, als wäre er zu großer Schnelligkeit und Anmut fähig, und Allie, der das mit einem Mal bewusst wurde, empfand unwillkürlich Respekt – und zugleich Verzweiflung: War denn keiner in Cimmeria das, was er zu sein schien?
    Im nächsten Augenblick war die Anspannung wieder gewichen, und sie hörte den Gärtner leise murmeln: »Was ist nur mit dir los, Junge?«
    Allie stellte sich auf die Zehenspitzen und entdeckte Carter, der durch den Matsch angerannt kam, wobei der schwache Strahl seiner Taschenlampe hin und her wanderte.
    »Tut mir leid«, sagte er, als er schließlich zu ihnen stieß. »Ich hab verschlafen.«
    »Verschlafen.« Mr Ellison spuckte das Wort förmlich aus. Als hätte er »Verräter« gesagt.
    Zu Allies Überraschung ließ Carter den Kopf hängen. »Tut mir leid, Bob«, sagte er. »Ich kann die Zeit nachholen.«
    »Das klären wir später«, erwiderte der Gärtner.
    Carters Reue schien ihn zu erweichen, und bald ließ er sie allein, damit sie die Sträucher beschnitten.
    Nach Carters Stimmungsschwankungen gestern zeigte Allie wenig Neigung, sich mit ihm zu befassen, und wahrte lieber Distanz. Sie hatte nicht verstanden, was in seinem Kopf vor sich gegangen war – doch davon mal abgesehen, konnte er auch nicht einfach so ankommen und ihre Nähe suchen und sie dann wieder fallen lassen, wie es ihm passte, als wäre sie ein Spielzeug. Entweder waren sie Freunde, oder sie waren es nicht.
    Das Beschneiden der Sträucher erwies sich als gar nicht so einfach. Die Brombeerdornen waren wie heimtückische, kleine Dolche, die sich durch Handschuhe und Ärmel bohrten.
    »Aua, du blöde, doofe, gemeine …
Pflanze
!« Allie zerrte an ihrem Handschuh und besah sich den Blutfleck auf ihrer Fingerspitze. »Immerhin habe ich jetzt endlich das wahre Wesen von Brombeeren erkannt. Kleine, bösartige Biester sind das!«
    »Alles in Ordnung?« Carter, der die abgeschnittenen Zweige zu einem Haufen zusammenraffte, damit sie verbrannt werden konnten, sah mit einer Mischung aus Sorge und Belustigung zu ihr herüber.
    Allie schaute überrascht auf: Es war das erste Mal an diesem Morgen, dass er sie direkt ansprach. Doch rasch hatte sie sich gefasst und bedachte ihn mit einem nonchalanten Achselzucken. »Ich werd’s überleben. Hab noch nie von einem gehört, der zu Tode gedornt worden wäre.«
    »Zumindest, soweit wir wissen …«, erwiderte er.
    »Vielleicht hat die Beerenindustrie ja dafür gesorgt, dass die Sache vertuscht wurde.«
    Während sie den Handschuh wieder überstreifte, musste sie daran denken, wie Mr Ellison kurz zuvor verteidigend vor sie gesprungen war. »Gehört Mr Ellison eigentlich auch zur Night School?«
    Carters Miene verdüsterte sich. »Ja und nein.« Er schaute um sich, um sicherzugehen, dass der Gärtner nicht in der Nähe war. »Früher mal. Er ist hier zur Schule gegangen. Hat dann in Oxford Philosophie studiert und in der City bei einer der großen Banken gearbeitet. Dann ist was schiefgelaufen, ziemlich schlimm.«
    Allie versuchte, sich Mr Ellison vorzustellen, jung und elegant, im Anzug. Undenkbar. Sie kannte ihn nur im dunkelgrünen Overall. Und nie ohne schmutzige Hände.
    Sie sah Carter an. Darüber wollte sie unbedingt mehr erfahren. »Weißt du, was passiert ist?«
    »Er hat immer nur gesagt, dass er einen Fehler gemacht und dadurch vielen Leuten geschadet hat. Was immer es war, es muss so schlimm gewesen sein, dass er den Job aufgab und nie mehr zurückkehrte.«
    Er warf einen langen Ast auf den Komposthaufen. »Er wird sich das nie verzeihen.«
    Die Geschichte war ernüchternd. Die Vorstellung, dass man einen, nur einen einzigen Fehler machen kann, und das ganze Leben ist ruiniert, jagte Allie Furcht ein, und sie musste daran denken, was sich gerade in Cimmeria abspielte. Sie

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