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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Adventskranz aus nicht entflammbarem Kunststoff mit elektrischen Kerzen vorbeigebracht, mich dann aber die ganze Weihnachtszeit nicht sehen lassen. Mit entsprechend schlechtem Gewissen suchte ich einen Parkplatz in der Taubertstraße.
    Wegen ihrer Schwerhörigkeit brauchte man einen Schlüssel zu ihrer Wohnung, Klingeln zwecklos, da sie den hochmodernen Hörapparat andauernd verstellte. Ich schloß ihre Wohnungstür auf und tastete nach dem Lichtschalter, aber der Flur blieb dunkel. Klar, schon vor Monaten hatte ich versprochen, den Schalter zu reparieren. Sofort umfing mich der vertraute Geruch nach altem Menschen und sofort auch meine übliche Angst – würde ich nur noch die Leiche meiner Tante finden? Und, wenn ja, wie ginge es dann weiter? Könnte ich als Arzt und Neffe eigentlich selbst ihren Totenschein ausfüllen?
    »Tante Hilde! Ich bin es, Felix!«
    Sie saß in ihrem Sessel, mit Brille und Lupe vertieft in die Tageszeitung. Vorsichtig tippte ich ihr an die Schulter, erschrocken drehte sie sich zu mir um.
    »Ach, du bist es, Gustav!«
    Gustav war ihr Bruder, mein Vater. Mit seinem Tod hatte sie den Namen auf mich übertragen. Abgesehen von solchen Kleinigkeiten war sie geistig ziemlich fit. Bis auf einige Realitäten, die sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte.
    »Warum hast du nicht geklingelt?«
    Ich suchte nach ihrem Hörapparat, stellte die Empfindlichkeit ein und fummelte ihn in ihre Ohrmuschel. Sofort begann sie, wieder an der Einstellung herumzudrehen. Wo ich schon mal dabei war, maß ich gleich noch ihren Blutdruck.
    »145/90, nicht so schlecht. Übrigens – schönes neues Jahr!« Ein ziemlich blöder Spruch gegenüber einem Menschen, der darunter leidet, daß der Tod ihn bisher vergessen hatte.
    »Ricarda hat mich wieder bestohlen, mir fehlen zwanzig Euro.«
    Wie gesagt, Hilde war geistig erstaunlich fit und hatte problemlos die Umstellung von Mark auf Euro mitbekommen. Da es immer um kleinere Beträge zwischen zehn und fünfzig Mark beziehungsweise jetzt um Euro ging, nahm ich an, daß Tante Hilde wahrscheinlich wirklich bestohlen wurde. Andererseits kam Ricarda zuverlässig dreimal die Woche, hielt die Wohnung sauber, erledigte alle Besorgungen. Ich konnte mir nicht vorstellen, adäquaten Ersatz zu finden. Also würde ich den Verlust wie üblich diskret in Hildes Portemonnaie ausgleichen.
    Ich begann meine Routineinspektion der Wohnung auf laufende Wasserhähne, offene Gashähne, Bügeleisen unter Dauerstrom, die üblichen Sachen. Eine ausgesprochen schön geschnittene Wohnung, exzellente Lage, sonnig, ruhig. Makler Fred würde höchst interessiert sein. Tatsächlich hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, nach dem Tod meiner Tante einmal selbst hier einzuziehen.
    Die Inspektion blieb weitgehend unauffällig, nur im Bett entdeckte ich ein Heizkissen auf Höchststufe. Gerade als ich es ausgestellt hatte, nahm ich unter der Bettdecke eine Bewegung war. Einen Moment lang erfüllte mich die Vorstellung, Hilde sei ein Bein abgefault, über das sich nun Hunderte von Maden hermachten. Ich schlug die Bettdecke zurück, empört starrten mich zwei Knopfaugen an.
    Natürlich, Trixi! Trixi war ein Hund vom Typ mutierte Ratte, von unbeschreiblicher Häßlichkeit und, wie gerade bewiesen, nicht einmal als kläffender Wachhund zu gebrauchen. Tante Hilde hatte ihn von ihrer Schwester, meiner Tante Ilse, nach deren Tod vor zwei Jahren übernommen, und erstaunlicherweise hatte sich Trixi auf das Leben bei Tante Hilde eingestellt. Nur dreimal die Woche nahm Ricarda den Hund zu ihren Besorgungen mit auf die Straße, ansonsten verrichtete Fräulein Trixi ihre Notdurft auf dem mit Zeitungspapier ausgelegten Balkon und schien damit zufrieden. Jedenfalls zeigte sie keinerlei Begeisterung, mich zu sehen, obgleich sie doch wissen sollte, daß mein Erscheinen einen zusätzlichen Spaziergang bedeutete.
    »Ich gehe mal mit Trixi in den Park«, brüllte ich in Tante Hildes Hörapparat.
    »Fein, da freut sich meine Trixi, was?«
    Davon konnte keine Rede sein. Aber ich kannte keine Gnade. In der nächsten halben Stunde fühlte ich mich wie der Held am Beginn von Tom Wolfes »Fegefeuer der Eitelkeiten«, der den widerspenstigen Köter seiner Frau durch Manhattan schleift, nur um ungestört seine Freundin aus der Telefonzelle anzurufen. Fräulein Trixi stemmte ab der Haustür alle vier Pfoten gegen die Laufrichtung, keuchte, als würde das Halsband sie erwürgen, und lahmte abwechselnd auf den Vorder- oder

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