Denn wer zuletzt stirbt
Hinterpfoten.
»Sehen Sie nicht, daß Sie den Hund quälen? Macht Ihnen das Spaß?«
Ich hatte keine Lust, mich von einem der in Berlin reichlich vorkommenden Hundefreunde steinigen zu lassen, und trat den Rückzug an. Tante Hilde konsultierte mich noch zu einigen Tips aus der Apothekerzeitung, zu denen ich nicht viel sagen konnte, und zur aktuellen Rechtslage bei Sterbehilfe, wo ich etwas mehr Kompetenz besitze. Nachdem wir gemeinsam ihre Herz- und Blutdruckmedikamente durchgegangen waren, überließ ich sie wieder ihrem Alter, ihrer Einsamkeit und Trixi.
4
In den nächsten Tagen bestand die Frage zwar weiterhin, aber eine Lösung bot sich nicht an: Was tun mit dem Patienten Winter? Angesichts meiner bisher einzigen Verdächtigen hätte es auch keinen Sinn gehabt, Winter in ein anderes Zimmer zu verlegen. Und die in Kriminalromanen beliebte Methode, das gerade noch gerettete Opfer einfach für tot zu erklären, um dann die weitere Entwicklung zu beobachten, funktioniert in einer Klinik erst recht nicht gut, allein schon wegen der Frage der Kostenerstattung.
Schließlich versuchte ich es doch bei Makler Fred. Vielleicht war ich ja nur voreingenommen wegen seines Geländewagens und der Rolex und er würde mir ohne Zögern den Verkäufer der Wohnung von Winter nennen. Ich rief in dem Immobilienbüro an. Herr Marske sei nicht im Haus, wurde mir nach einem »Moment bitte« mitgeteilt. Schade, antwortete ich, denn ich hätte jetzt doch die Finanzierung für den Kauf der neulich besichtigten Wohnung zusammenbekommen. Nach einem erneuten »Moment bitte« war die Stimme wieder am Apparat: Es tue ihr leid, aber die Wohnung stehe nicht mehr zum Verkauf an.
»Wahrscheinlich mag der keine Ärzte«, meinte Celine.
»Blödsinn. Nach landläufiger Meinung sind wir Ärzte steinreich, also solvente Käufer oder wenigstens zuverlässige Mietzahler.«
»Ärzte bedeutet Drogen im Haus und jeden Tag eine neue Schwesternschülerin auf der Matratze.«
»Sehe ich aus wie ein Drogenhändler?«
»Weiß Gott nicht«, erwiderte Celine. »Die fahren wenigstens ein anständiges Auto. Aber nach einem deiner Nachtdienste siehst du tatsächlich aus wie ein Junkie auf der Suche nach seinem nächsten Schuß.«
In den nächsten Tagen ergab sich erst einmal keine unauffällige Gelegenheit, Winter auf seine Erben anzusprechen. Außerdem hatte sein Infekt auf der Station gestreut, über die Hälfte meiner Patienten begrüßte mich mit Husten, hohem Fieber und drohenden Komplikationen, so daß sich in der zweiten Januarwoche meine sonst relativ ruhige geriatrische Abteilung in eine schniefende und krächzende Akutstation verwandelt hatte.
Besondere Sorgen machte mir Herr Kiesgruber, ehemaliger Eigner der bekannten gleichnamigen Firma. Bei Herrn Kiesgruber hatte der Infekt das Herz angegriffen, das mit bösen, potentiell lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen reagierte. Im Prinzip gehörte Herr Kiesgruber hinüber auf die Intensivstation.
»Dr. Hoffmann – auf keinen Fall Intensivstation! Da bekommen Sie mich nicht hin. Lassen Sie mich bitte einfach sterben.« Natürlich hat ein Mensch nicht nur das Recht auf Leben, sondern auch auf seinen Tod. Und natürlich gibt es an jedem Krankenhaus passive Sterbehilfe. Schließlich sprach Kiesgruber andauernd davon, daß er sein Leben gelebt habe, sein Haus bestellt und daß es an der Zeit sei abzutreten. Nur, in den Zwischentönen erinnerte er mich sehr an Tante Hilde – bei solchen Gelegenheiten befragt, ob ich sie denn heute umbringen solle und ob mit einem Strick oder einer Spritze, war sie bisher stets eine klare Antwort schuldig geblieben. Außerdem hatten wir im Fall Kiesgruber mit einigem Probieren sogar ein Medikament gefunden, das, regelmäßig alle zwei Stunden genommen, diese lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen gut unter Kontrolle hatte. Also einigte ich mich mit ihm: keine Intensivstation, im Fall des Falles keine Wiederbelebung, aber eine vernünftige konventionelle Therapie. Als ich vor Feierabend nach Kiesgruber schaute, war sein Zustand stabil, das Fieber rückläufig und seine Prognose nicht schlecht.
Erst nach dem zweiten Glas Wein und während einer Folge von Wer-wird-Millionär, bei der ich im Gegensatz zu dem dämlichen Kandidaten natürlich alle Antworten wußte, kam mir plötzlich in den Sinn, daß mir Kiesgruber schon häufiger von seiner schönen Wohnung erzählt hatte: über ihre tolle Lage, die schöne Aussicht und wie schade es war, daß nach dem Krebstod seiner Frau
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