Denn wer zuletzt stirbt
Komplott existiert wirklich. Hast du einen Verdacht, wer die Sache hier in der Klinik managt?«
Gerade noch rechtzeitig erinnerte ich mich, wie irrational Valenta neulich auf die Mitteilung reagiert hatte, daß Renate in der Silvesternacht bei Winter gesehen worden war. Also hob ich nur bedauernd die Schultern.
»Das ist genau das Problem. Ich habe keine Ahnung.«
Ich hatte mich durch das Gespräch mit Valenta davor gedrückt, mit der Visite anzufangen, denn mein Computer hatte mich vor einem Geburtstag gewarnt. Auf der Geriatrie ist der Geburtstag eines Patienten ein heikles Thema. Erwähnt ihn der Stationsarzt, führt das eventuell zu Tränen oder einer längeren Depression. Erwähnt er ihn nicht, wird es ziemlich sicher übelgenommen.
Heute war Winters Geburtstag, und passend zum Anlaß kam er auf sein Testament zurück. Tränen gab es bei ihm keine, ich hingegen mußte eingestehen, daß ich mich noch nicht um die Frage gekümmert hatte, ob er sein Geld der Klinik beziehungsweise meiner Station vermachen könne.
»Halten Sie sich ran, Dr. Hoffmann, zeigen Sie keine falsche Pietät. Glauben Sie mir, ich habe alle Bücher gelesen, die ich lesen wollte, und alle Länder gesehen, die mich interessierten. Ich habe viel Gutes erlebt und ein paar Enttäuschungen, die dazugehören, mit den Freunden und mit den Frauen. Aber, mein Freund, es ist gar nicht eine Sache des Alters, der Tod, sein richtiger Zeitpunkt. Mein bester Freund war Mitte Zwanzig, als er starb. Mein Gott, er hatte doch noch sein ganzes Leben vor sich – diese Art von Kommentaren hat mich damals ziemlich nervös gemacht. War es nicht eine Negation seines ganzen Lebens, gerade so, als wären diese fünfundzwanzig Jahre sinnlos gewesen?«
Ich stimmte ihm zu und versprach, mich endlich um sein Testament zu kümmern. Dann suchte ich nach Schwester Käthe. Sie arbeitete im Schwesternzimmer die Visite aus, zum Glück alleine.
»Sagen Sie mal, Käthe. Könnten Renate und Valenta ein Verhältnis haben?«
Käthe ist nicht der Klatsch-und-Tratsch-Typ, aber bekommt natürlich mit, was so läuft.
»Renate und der dicke Valenta? Wie kommen Sie denn da drauf?«
Ich gab vor, ein entsprechendes Gerücht gehört zu haben.
»Kann ich mir nicht vorstellen. Der würde mit seinen hundertfünfzehn Kilo die Renate doch glatt erdrücken!«
»Aber Sie sind doch gut befreundet mit Renate. Würden Sie es nicht wissen, wenn da etwas liefe?«
»Wir sind befreundet, das stimmt. Aber über solche Dinge sprechen wir nicht. Und, Dr. Hoffmann, selbst wenn, würde ich es Ihnen nicht sagen. Bei aller Wertschätzung.«
Ich war platt. Über was sonst reden Frauen denn miteinander? Nun ohnehin beim Thema Renate, fragte ich gleich noch einmal wegen der Silvesternacht nach. War Käthe wirklich sicher, daß sie damals Renate aus Winters Zimmer hatte kommen sehen?
»Große Blondine im schwarzen Mantel – wer soll das sonst gewesen sein?«
Stimmt, ich erinnerte mich an Schwester Renates schwarzen Wintermantel. Und andere große Blondinen haben wir nicht an der Klinik. Leider.
Bevor ich am späten Nachmittag den Heimritt antrat, fing mich ebendiese Blondine ab.
»Hallo, Superdetektiv. Ich höre, du verbreitest nun auch das Gerücht, ich verkloppe die Wohnungen toter Patienten.«
Offensichtlich hatte Valenta mit ihr gesprochen.
»Das habe ich niemandem gegenüber behauptet. Aber, es ist wahr, aus dieser Klinik heraus werden Wohnungen von Patienten vermittelt, und zwar zum Teil noch, bevor die Leute tot sind. Und es ist wahr, daß ich glaube, daß du etwas damit zu tun hast.«
Renate sah mir direkt in die Augen und streckte das Kinn vor.
»Das, mein lieber Dr. Felix, mußt du mir erst einmal beweisen. Und, bis dahin solltest du ganz, ganz vorsichtig sein ...«
Vor ihrem endgültigen Abgang drehte sich Renate noch einmal zu mir um.
»Schade. Eigentlich wollte ich dir immer mal ein unanständiges Angebot machen.«
Dann war sie verschwunden. Ich bin nicht sicher, ob ich ihr Angebot ausgeschlagen hätte.
11
Samstagnacht, die »Lange Nacht der Museen«. Zweimal pro Jahr macht sich tout Berlin zu diesem Ereignis auf die Socken und kann bis in den frühen Morgen seine Museen inspizieren, am Leben und bei Laune gehalten von Öko-Food-Ständen, Solo-Unterhaltern, kleinen Bands und einem gut organisierten Bus-Shuttle. Es herrscht Volksfeststimmung mitten in der Nacht und in allen U-Bahnen, S-Bahnen und Bussen. Menschen, die gnadenlos einen Rubens zum Sperrmüll stellen würden,
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