Denn wer zuletzt stirbt
immer eine angenehme Überraschung, einen alten Kollegen zu sehen. Und ganz besonders, einen so netten.« Etwas kokett faßte sie sich in das Männerhemd und strich über ihre linke Schulter. »Schade nur, daß ›alter Kollege‹ bedeutet, daß auch ich älter geworden bin.«
Was erwartete sie? Ein entrüstetes »Aber meine Liebe! Keinen Tag älter als damals in der Klinik!« ? Ich verzichtete auf jeden Kommentar, während Margitta kurz ein betrübtes Gesicht aufsetzte. Plötzlich schien sie sich wirklich besonnen zu haben, wer ich war.
»Das mit deiner Tante tut mir leid.« Sie machte eine kleine Pause, den Kopf etwas zur Seite gelegt, ein mädchenhaft scheues Lächeln um den Mund.
Ich trat einen Schritt in die Wohnung. Es handelte sich um eine dieser Altberliner Wohnungen, die zu anderen Zeiten eine großbürgerliche Familie samt Personal beherbergt hatte. Bei dieser hier hatte man wohl vergessen, sie renditesteigernd in zwei oder drei Kleinwohnungen zu unterteilen. Margitta nutzte sie sowohl für ihren Hauspflegedienst als auch zum Wohnen.
»Kann ich dir ... Ihnen etwas anbieten?«
Ich wurde in den offensichtlich privaten Teil gebeten und folgte ihrem einladenden Lächeln in ein großzügiges Wohnzimmer, wo sie uns, ohne meine Antwort abzuwarten, jeweils eine kräftige Portion Cognac einschenkte, sich auf eine bequeme Couch lümmelte und mir den Platz neben sich anwies.
»Setzen Sie sich, Felix. Was treiben Sie denn so in diesen Tagen?«
Meinetwegen könnten wir auch mit Smalltalk beginnen und sehen, wie wir dann zum Thema kommen, zumal ich mir keinen Plan für unser Gespräch gemacht hatte. Margitta war noch vor dem Skandal mit der »russischen Spende« direkt von der Humana-Klinik in die Selbständigkeit gewechselt, also bot sich diese Zeit als Einstieg an.
»Sie wissen, daß nach der Sache mit Bredow und Dohmke die Klinik neu organisiert worden ist?«
»Klar habe ich davon gehört, auch von Ihrem Teil an der Geschichte. Ein dicker Hund!«
Ich fand es noch verfrüht, auf das Stichwort Hund einzusteigen.
»Trotzdem hat auch uns das große Bettenstreichen erwischt. Ich kümmere mich aktuell in einer neuen Abteilung um die Chroniker. Im Altbau, natürlich zu einem kräftig reduzierten Bettensatz.«
»Natürlich. Sie in der Klinik werden genauso erpreßt wie wir. Immer mehr medizinische Leistungen, aber um Gottes Willen keine Erhöhung der Kosten. Nur verstehe ich nicht, warum ausgerechnet ein hochqualifizierter Mann wie Sie sich mit den Chronikern herumschlagen muß!«
»Na, ich hoffe schon, irgendwann einmal wieder in die Akutmedizin zurückzukommen. Aber irgend jemand mußte die Abteilung aufbauen. Und, wenn ich wirklich so hochqualifiziert bin – warum sollen diese alten Menschen nicht qualifiziert betreut werden?«
»Sie bei den Chronikern! Sie wissen, was das heißt? Wir sind jetzt praktisch Kollegen, behandeln die gleichen Leutchen. Aber eigentlich wollte ich wissen, was Sie sonst so treiben. Immer noch standhafter Single?« Margitta hob die Beine auf die Couch und drückte mir ihre Füße gegen den Oberschenkel. »Oder sind Sie etwa inzwischen verheiratet? Das wäre außerordentlich schade!«
Mehr als ein klägliches »Nein« brachte ich nicht zustande, Margitta verstärkte leicht den Druck.
»Sie haben mir noch gar nicht gesagt, was mir die Freude Ihres Besuchs verschafft. Aber erst einmal – Prost auf die alten Zeiten!«
Mit dem Cognac in der Hand lehnte sie sich mir weit entgegen und gewährte einen tiefen Einblick in ihr Hemd, unter dem sie nichts trug. Einen Moment dachte ich an Celine im Zeltlager am Frankfurter Flughafen mit diesem Heiner. Vielleicht waren es am Ende nur die Leggings, die mich vor einem entscheidenden Fehler bewahrt haben. Ich stand von der Couch auf und setzte mich gegenüber in einen Sessel.
»Es geht um meine Tante.«
»Eine nette alte Dame. Wir haben sie gerne betreut.«
Mit einem kleinen resignierten Seufzer setzte sich Margitta wieder aufrecht auf ihre Couch.
»Ich hoffe, Sie geben uns nicht die Schuld an ihrem Tod?« Keine Unsicherheit bei Margitta, eher eine Andeutung von Ironie. Ich hatte beschlossen, die vorenthaltenen Medikamente erst einmal nicht zu erwähnen.
»Es geht mir mehr um die Frage, wie es sein konnte, daß die Wohnung meiner Tante schon vor ihrem Tod auf dem Immobilienmarkt angeboten wurde.«
Margitta hielt jetzt den Hemdausschnitt zu, während sie sich nach ihren Zigaretten vorbeugte.
»Wie das sein konnte? Das kann ich Ihnen sagen:
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