Denn wer zuletzt stirbt
selbst fahren?«
Er hatte die Fahrertür seines Mercedes SLK bereits geöffnet und schwang seine Kilos auf den ledergepolsterten Sitz.
»Steig ein. Oder willst du mit deinem Gipsbein die Pedale bedienen?«
Und schon fädelten sich Dr.-Gerade-erst-Reanimiert und Dr.-Nicht-ohne-meine-Krücke in den laufenden Verkehr ein. Ich versuchte, meine Gedanken von der Häufigkeit plötzlicher Rhythmusstörungen nach Infarkt oder von frühen Wiederverschlüssen der Herzkranzgefäße nach primär erfolgreicher Eröffnung abzulenken und den Luxus von Valentas Wagen zu genießen: den Geruch feinen Leders und edler Hölzer, das leise Schnurren der sechs oder acht Zylinder, keine Ahnung, das Gefühl der Überlegenheit gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern.
Nach dem unglücklichen Ende meines Dritte-Hand-Golfs, der mir über Jahre recht zuverlässig gedient hatte, müßte ich mich auch wieder um einen Wagen kümmern, sobald der Gips weg konnte. Ich würde in meiner bisherigen Preisklasse bleiben, aber nicht mehr ohne Airbag.
»Was bist du bereit anzulegen?« fragte Valenta. Ich mußte wohl laut gedacht haben.
»Nicht mehr als fünftausend oder so«, antwortete ich.
»Kauf dir doch endlich mal einen anständigen Wagen, Felix. Erzähl mir nicht, du könntest dir nichts Besseres leisten.«
Es ist eigenartig mit den Autopreisen. Für fünftausend Euro bekommt man einen Gebrauchtwagen, der ziemlich zuverlässig von A nach B fährt, mal vorausgesetzt, kein krimineller Immobilienhändler schiebt ihn mit Hilfe seiner gleichfalls kriminellen Schwester und kraft überlegener Motorleistung von der Straße. Für den zehnfachen Preis gibt es aber kein zehnmal so gutes Auto, ab einer bestimmten Grenze steigt der Preis für einigen mehr oder weniger notwendigen Komfort exponentiell.
»Na, klar, kann ich mir leisten, im Prinzip. Sehe ich aber nicht ein. Außerdem, so toll standen die Aktien von Advanced Biotechnology Systems nicht, als ich das letzte Mal nachgeschaut habe.«
Das war vor meinem Unfall. Keine Ahnung, was seitdem an der Börse passiert war.
»Aktien sind eine langfristige Anlage, du darfst dich nicht von ein paar Schwankungen nervös machen lassen. ABS war in den letzten Wochen in einer kritischen Phase, stimmt. Aber ich habe gerade in den Online-Börsennachrichten gesehen, daß eine holländische Biotechnologiefirma mit dreißig Prozent bei ABS einsteigen will. Das dürfte den Kurs wieder kräftig nach oben bringen.«
Nun war Valenta beim Lieblingsthema und hielt mir einen seiner Kostolany-Vorträge über die Geheimnisse des Aktienmarktes und wie sich kraft der Marktmechanismen alles zum Guten wenden würde. Er redete vom Kurs-Gewinn-Verhältnis, gab das Kurs-Umsatz-Verhältnis zu bedenken, argumentierte mit der PEG-Ratio und schlug mir alles um die Ohren, was es sonst noch an Zauberformeln im Börsengeschäft gibt. Das Thema schien ihn weit mehr zu interessieren als sein gerade überstandener Herzinfarkt beziehungsweise Beinahe Tod und mündete in seiner üblichen Quintessenz, ich sollte einfach mein Geld arbeiten lassen.
»Hast du schon mal Geld arbeiten sehen?« gab ich zu bedenken.
»Na, klar arbeitet Geld. Dabei schafft es Sicherheit und eine solide wirtschaftliche Grundlage. Meinst du, wir könnten sonst unsere Patienten weiter auf einem derart hohen Niveau versorgen? Du und deine Alt-68er-Sprüche!«
Valenta hielt jeden, der in einen Wagen nur fünftausend Euro investieren wollte, für einen verkappten Trotzkisten. Unter weiteren Aufklärungen zur Funktion der Wirtschaft und ihrer Globalisierung zu unser aller Wohl waren wir inzwischen in Renates Straße eingebogen. Wir fanden sogar einen Parkplatz für seinen Mercedes und stiegen aus.
»Noch eines, Felix«, keuchte Valenta, als wir uns die drei Stockwerke zu Renates Wohnung hochmühten, »Renate ist ein sehr nettes Mädchen und hat garantiert nichts mit der Sache zu tun. Also laß uns die Angelegenheit in Ruhe besprechen und spiele nicht den Großinquisitor, okay?«
Je mehr wir uns dem dritten Stockwerk näherten, desto stärker nahm der Geruch nach gebratenem Speck und Zwiebeln zu, um schließlich das ganze Treppenhaus zu erfüllen, als Renate uns die Tür öffnete.
»Ihr kommt genau rechtzeitig. Heinz, deine Bratkartoffeln sind gerade fertig.«
Unglaublich. Während ich seinen Intensivschwestern versprochen hatte, ihn wieder heil zurückzubringen, hatte Valenta die Zeit gefunden, bei Renate telefonisch Bratkartoffeln mit Speck zu bestellen. Nicht, daß
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