Depeche Mode
Alles klar, – sagt Wasja, – wir suchen Zündkerze, lang her, daß du ihn gesehen hast? Lang, – sagt Tschapaj, setzt sich hin, schlägt ein Bein über und raucht eine »Belomor«.
Tschapaj ist mager und introvertiert, schenkt uns fast keine Beachtung, sitzt da, Beine übereinandergeschlagen, liest irgendwelche Parteipropaganda, er hat ein altes T-Shirt an, Turnschuhe und Trainingshosen, außerdem trägt er Brille, nicht viele unserer Kumpels tragen Brille, obwohl, vielleicht trägt er sie nur so zum Spaß, keine Ahnung.
– Hast du vielleicht irgendeine Ahnung, wo er sein könnte? – frage ich.
– Keine Ahnung.
– Hat er dir nichts gesagt?
– Hat nichts gesagt.
– Fuck, – sage ich. – Sein Vater ist umgekommen.
– Stiefvater, – verbessert mich Dog.
Tschapaj schweigt.
– Hat er nicht vielleicht seine Sachen bei dir vergessen? – frage ich weiter.
– Hat er nicht.
So kann man endlos weiterreden, er spricht in Mantras, hat zu viel Engels gelesen und kann normale Informationen nicht mehr verarbeiten, diese neuen Kommunisten haben ihr eigenes, verdrehtes Zen, so leicht findest du da keinen Zugang, und wenn doch – dann keinen Ausgang mehr, mußt im tiefen, verfuckten Graben des Marxismus-Leninismus herumbugsieren, ohne zu raffen, was das alles soll.
– Was liest du da? – fragt Wasja ihn plötzlich.
– Nur so, – antwortet Tschapaj. – Haben mir ein paar Bücher dagelassen. Lese sie noch mal.
– Mhm, – sagt Wasja, sie sind ja Gleichgesinnte, wir aber versuchen, nicht zu stören.
– Können wir vielleicht hier auf ihn warten?
– Könnt ihr.
– Wir haben Alk.
– Ich auch, – Tschapaj zeigt auf seinen Apparat. – Aber ich trinke nicht.
– Wie das?
– Tripper.
– Echt? – Ich lege das Buch zurück aufs Fensterbrett. Wo hast du denn …?
– Gleich hier, in der Fabrik, – sagt Tschapaj gelassen.
– In der Fabrik?
– Mhm.
– Wie – direkt in der Werkshalle?
– Mhm.
– Ihr seid doch hier nur Männer.
– Eben.
– Wer hat dich denn? – frage ich. – Beziehungsweise, sorry, wen hast du?
– Wie – wen? – Tschapaj versteht nicht.
– Also, – sage ich, – weißt du, von wem du’s hast?
– Ach so, – sagt Tschapaj, – von niemandem. Ich hab Kinder-Tripper.
– Wie, Kinder-Tripper?
– Kinder-Tripper halt. Ich ficke aus Prinzip nicht. Wir haben Altkleider ausgeladen, da hab ich’s mir gefangen.
– Klar, – sage ich. – Ihr Marxisten seid einfach Engel – fickt nicht, trinkt nicht.
– Ladet Altkleider aus, – fügt Dog hinzu.
– Hört mal, – sagt Tschapaj, offensichtlich, um das Thema zu wechseln, – habt ihr Knete?
– Wieso? – fragt Wasja mißtrauisch.
– Wir könnten zu den Roma fahren und Shit kaufen. Zusammensitzen und auf euren Zündkerze warten. Sonst ist’s öde, wo ich doch nicht trinke.
– Klar, – sagt Wasja, – gute Idee. Glaubst du, er taucht auf?
– Wer weiß, – sagt Tschapaj. – Vielleicht taucht er auf, vielleicht nicht. Sagt mal, braucht ihr vielleicht was zum Anziehen? Jeans, Turnschuhe. Ist aber secondhand …
14.00
Wasja ist bereit, für das Taxi zu blechen, hat das Geschäft mit dem Wodka offensichtlich aufgegeben, liegt ihm einfach nicht, aus dem, was heilig ist, Geld zu schlagen, also folgen wir Tschapaj nach draußen – Tschapaj, Wasja und ich, Dog bleibt beim Apparat, das Feuer hüten oder so, hält Wache und stellt ab und zu einen neuen Kolben unter die Kühlschlange, Tschapaj zeigt ihm, wie es geht, verbietet ihm aber strengstens, aus dem Kolben zu trinken, unhygienisch sei das, halt bloß den Mund, – sagt darauf Dog, – verfuckter Trippertänzer, sie wollen sich prügeln, aber wir zerren sie auseinander, vielmehr zerren wir Tschapaj auf die Straße, dort gibt er von selbst Frieden – hat ja wirklich den Tripper, was soll er es leugnen. Im Prinzip fahren in dieser Gegend keine Taxis, hier fahren Bagger, und auch das ganz selten, also traben wir bis zum Zirkus, beim Zirkus ist es menschenleer, zwischen den grauen Platten wächst das Gras, ein schöner Sommer, wenn wir jetzt noch Zündkerze zur Beerdigung schicken könnten, wäre überhaupt alles super, Tschapaj versucht, ein Auto zu stoppen, aber die Fahrer haben keinen Bock auf seine blauen Trainingshosen, niemand hält an, schließlich fängt er doch eine Karre ab, und wir zwängen uns hinein und fahren zu den Roma, vorbei an schillernden Pfützen.
14.40
Die Roma leben an einem anderen Ende der
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