Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
Vom Netzwerk:
Musik in den Ohren klingt. Dann auf einmal springt sie auf, hüpft ins Rot, hopst ins Schwarz, rast von einer Seite zur andern quer durchs Feld — Impair und Manque, Rot, Passe! Vorüber! Nein, sie reißt wieder aus und pendelt zwischen den Ziffern hin und her — zögert noch ein letztes Mal und bleibt endlich in einem Fach liegen.
    Dem Croupier gegenüber steht ein hochgewachsener Mann. Ein guter alter Bekannter des Hauses. Während die meisten Spieler um den Roulettetisch herum Platz genommen haben und ihre Blicke auf das Spiel heften, wandert er lieber von Tisch zu Tisch, sitzt mal hier, mal da — vollkommen lässig, so im Vorbeigehen.
    Er ist etwa 50 Jahre alt und sieht blendend aus in seinem dunkelblauen Blazer mit goldenen Knöpfen und Tressen und mit dem Wappen seiner Yacht auf der linken Brusttasche. Alles in allem eine imponierende Erscheinung — selbst in dieser hochkarätigen Gesellschaft fällt er auf.
    Auch er verfolgt gespannt die launische Kugel, doch er verzieht dabei keine Miene. Nur seine ungewöhnlich hellen Augen glitzern fiebrig und verraten etwas von seiner Aufregung. Dieser Mann hat nämlich gerade zweihunderttausend Francs gesetzt — alles auf die Zwölf!
    Er gibt an, Deutscher zu sein und nennt sich Grant — Archibald Grant, was nicht unbedingt wie ein deutscher Name klingt. Er spricht fließend französisch mit starkem deutschen Akzent — eine Spur zu stark vielleicht. Deutscher oder nicht — die Herkunft eines Herren, der jeden Winter mit seiner fünfunddreißig Meter langen Yacht und dreißig Mann Besatzung in den Hafen des Fürstentums einläuft, interessiert niemanden im Spielcasino von Monte Carlo.
    Abend für Abend setzt er ein Vermögen auf Spiel — nur das zählt. Wie gerade eben — zweihunderttausend Francs auf die Zwölf! Goldfrancs wohlbemerkt, denn wir schreiben das Jahr 1898 — die Blütezeit der Blüten an der Côte d’Azur!
     
    Die Kugel bleibt endlich liegen.
    »Die 7!« ruft der Croupier und streicht flink die Münzstapel ein.
    Archibald Grant würdigt den Bankhalter keines Blickes und sieht regungslos zu, wie seine zweihundertausend Goldfrancs den Besitzer wechseln. Dann wendet er sich mit derart autoritärer Stimme, daß alle aufhorchen, an den Angestellten, dem die Abwicklung des Spiels obliegt:
    »Ich will den Direktor sprechen, sofort!«
    Der Croupier verliert niemals die Haltung in solchen Situationen. Die Hausordnung schreibt ihm ganz genau vor, wie er sich zu verhalten hat, was auch immer geschieht. Er braucht nur kurz zu nicken, und der Chef de partie übernimmt den Fall — eine unauffällige Gestalt, die zwischen den Spieltischen hin und her schlendert und mit Argusaugen darüber wacht, daß alles seine Ordnung hat. Mit Kennermiene verbeugt er sich vor dem Deutschen und sagt leise, mit ausgesuchter Höflichkeit:
    »Wenn Sie mir folgen wollen, Monsieur.«
    Aufrecht und stolz wie ein Spanier schreitet Archibald Grant hinter ihm her durch die luxuriös ausgestatteten Salons bis zu dem feudalen Appartement des Direktors. Je später die Gäste, desto höher ihre Verluste — das weiß der Direktor aus langjähriger Erfahrung. Also ist joviale Freundlichkeit das beste:
    »Monsieur Grant, welche Freude, Sie wieder bei uns zu sehen! Bitte, nehmen Sie doch Platz!«
    »Nein, danke. Ich brauche nicht zu sitzen, um Ihnen zu sagen, was Sie jetzt tun werden. Ich habe eben zweihunderttausend Francs verloren und ich will sie zurück haben!«
    »Monsieur Grant, dies hier ist kein Fundbüro, sondern eine Spielbank.«
    »Halten Sie die Luft an und hören Sie mir genau zu! Ich brauche das Geld. Morgen früh muß ich meinen 30 Matrosen ihre Heuer auszahlen. Also — entweder Sie geben mir mein Geld zurück, oder ich sprenge diese verdammte Spielhölle in die Luft!«
    Der Besitzer der Spielbank, ein gewisser Camille Blanc, der — im Augenblick leider unerreichbar — in Paris seinen dubiosen Geschäften nachgeht, hat dem Direktor strikte Anweisungen gegeben, als er ihm den verantwortungsvollen Posten anvertraute: »Stets Nachsicht üben und Verständnis zeigen — noch für die wunderlichsten Launen der steinreichen Gäste des Fürstentums, die schließlich dem Spielcasino die Ehre erweisen, ihr Vermögen mit ihm zu teilen und es ihm bestenfalls sogar ganz zu überlassen! Nachsicht üben, ja, aber immer hart bleiben!« Nun, das ist eine Kunst, die in höchstem Maße Geduld und Taktgefühl erfordert. Der Direktor verfügt über beides und versucht es jetzt mit der Taktik

Weitere Kostenlose Bücher