Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
unbegründet – niedergeschlagen ist oder Schmerzen hat, deren Ursache er sich nicht erklären kann.
Dies gilt natürlich nur für den Fall, dass es sich um eine erstmalige Erkrankung handelt. Ein »erfahrener« Depressionsbetroffener hat Übung im Erkennen der Zeichen, dass wieder etwas im Anzug ist, und kann sich oft selber helfen, von der Wiederaufnahme der Medikation oder Erhöhung der Dosis bis zum Wiedereintritt in (s)eine Klinik. Mehrere meiner Freunde haben diese Methoden im Griff und können mit »ihrer« Depression mehr oder weniger gut leben.
Treten aber die Symptome zum ersten Mal auf und übersteigen das übliche Maß an Stimmungsschwankungen, an das das Individuum gewöhnt ist, sucht man oft zuerst nach Erklärungen, die die Möglichkeit einer Depression nicht in Betracht ziehen. Stresssituationen in Beruf und/oder Familie werden als vorübergehend bzw. lösbar gesehen und deshalb toleriert, ausweglose Situationen wie z.B. Langzeitarbeitslosigkeit werden als nicht veränderbar eingestuft – man gewöhnt sich an alles. Zweifel am Sinn von Leben und Beruf können ebenso als Grund ausgemacht werden – aber vor Änderungen schreckt man zurück.
Jeanette Bischkopf (2010, S. 14) hat u.a. die Erfahrung gemacht, dass Gereiztheit und Aggression selten mit Depression assoziiert werden. Wer in seinem bisherigen Leben noch nicht mit dem Phänomen »Depression« in Kontakt gekommen ist, übersieht sowohl als Betroffener als auch als Angehöriger, dass hinter Unlust und Schmerzen sehr wohl eine Erkrankung stecken kann, die behandelt werden kann und muss.
Früherkennung – wichtig für Betroffene und Angehörige
Wie wir gesehen haben, hat die Depression viele Ursachen, Auslöser und Erscheinungsformen. John P. Kummer hat bereits in seinem Bericht die Wichtigkeit der Früherkennung aus eigenem Erleben betont. Dieser Abschnitt enthält weitere praktische Tipps, die uns Angehörigen (und natürlich auch den Betroffenen) helfen, eine Depression frühzeitig zu erkennen.
Die frühe Identifikation einer Depression ist für den Erkrankten von ebenso großem Nutzen wie für uns betreuende Angehörige. Einmal verbessert sie beim Erkrankten die Heilungschancen ganz beträchtlich und verkürzt die Krankheitsperiode. Zweitens ist jeder in der Depression verbrachte Tag ein verlorener Tag. Auch für uns Angehörige ist eine kurze Pflegeperiode von großer Bedeutung. Die Leidenszeit des lieben Mitmenschen soll möglichst kurz sein, und auch unsere Beanspruchung als Pfleger sollte nicht länger dauern als unbedingt nötig. Jeder hat ein Recht auf ein Eigenleben.
Vor allem aber erlöst die Diagnose uns Angehörige (und auch den Betroffenen) von der unheimlichen Ungewissheit, was eigentlich vor sich geht. Wirkt der Betroffene einsilbig, uninteressiert, launisch, abwesend, klagt er über irgendwelche unerklärbare Schmerzen, so fragen wir uns: Was stimmt da nicht? Was fehlt ihm (in doppeltem Wortsinn)? Wir Angehörige, Ehepartner, Kinder und Freunde sind durcheinander, wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen und haben Angst. In schlimmen Fällen dauert der Zustand schon etliche Jahre und hat sich unmerklich verschlimmert. Vielleicht erkennt der Betroffene seinen Zustand selbst gar nicht.
Da ist dann die Diagnose »Depression« zwar schlimm, aber sie erleichtert auch: Aha, jetzt wissen wir wenigstens, was los ist. Die nächsten Schritte folgen: sich über die Krankheit informieren, mit dem Patienten reden, sich überlegen, was zu tun ist.
Im Rückblick wirkt das Erfahren der Wahrheit wie eine Erlösung: Wenn wir, Kranke und Angehörige schon früher gewusst hätten, dass es sich um eine Depression handelt, wäre uns manche Fehlleistung, viel Leid, Zank und Zweifel erspart geblieben. Je früher die Stunde der Wahrheit schlägt, desto besser für alle Beteiligten!
Was können wir konkret tun, um eine Depression frühzeitig zu erkennen? Vielleicht haben wir aufgrund der Beschäftigung mit der Krankheit, durch Lektüre oder im Gespräch mit Bekannten einen Verdacht. Lassen wir uns nicht aus Angst vor der Wahrheit oder durch falsche Rücksichtnahme daran hindern, mit dem Betroffenen zu sprechen – natürlich so feinfühlig wie möglich – und ihn veranlassen, zum Arzt, wenn nicht direkt zum Psychiater zu gehen, um die Ursachen seiner Leiden abzuklären. Falls er dazu (noch) nicht bereit ist, können wir als Laien eine Diagnose versuchen. In jedem Fall ist eine Beschäftigung mit der Checkliste Innere Symptome der Depression
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