Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
eventuell zu Depressivität neigen. Wenn ja, dann wird unsere Aufgabe doppelt schwer, denn die Angehörigen sollen ja stark sein. Ich kann jedem Betreuer nur wünschen, dass er alle Fragen in der Checkliste Neige ich zur Depressivität? (nach Lelord/André 2005) mit Nein beantworten kann. Wenn nicht, sollte er eine Fachkraft aufsuchen.
Später, im Laufe unserer Betreuungsaufgabe müssen wir uns immer wieder die Frage stellen, ob wir ihr mental noch gewachsen sind. Angesichts all der Fragen rund um eine mögliche Depression unseres Nächsten dürfen wir uns selber nicht vergessen. Wenn uns unsere Aufgabe über Gebühr belastet, müssen wir uns ehrlich fragen, ob sich nicht auch bei uns Zeichen einer Depression zeigen, die wir vielleicht zunächst als Frustration deuten. Denn: Eine Depressionskrankheit kann ansteckend sein!
Um dem vorzubeugen, können wir die Fragen in der Checkliste Depressionssymptome bei Betreuern beantworten. Fällt unsere Antwort wiederholt positiv aus, sollten wir unsererseits Hilfe suchen. Übrigens: Selber depressiv oder nicht: Ein Supervisor, wie er bei Psychologen und Psychiatern üblich ist, kann auch uns als Anlaufstelle, Gegensprecher, Vertrauensperson und sicherer Hafen sehr nützlich sein.
Leben neben der Depression – Unser Leben als Angehörige
Zur Einstimmung ein persönliches Wort
Im ersten Kapitel hat John P. Kummer das Leben als Depressionsbetroffener aus seiner individuellen Sicht geschildert, also von innen heraus. Jetzt betrachte ich, Fritz Kamer, mit Ihnen das Geschehen aus unserer Sicht als Angehörige, gleichsam von außen – obwohl wir ja mitten drin stecken.
Meine Schilderungen des Verhaltens der Erkrankten, der Zustände und unseres Erlebens als Angehörige werden teils recht drastische Formen annehmen. Ich mache das, damit Sie sehen, dass Sie nicht allein mit Ihren Sorgen sind. Wenn Sie sich sagen können: »Bei uns ist es doch nicht so schlimm«, dann umso besser. Dass viele Fälle »nicht so schlimm« sind, liegt bei den unendlich vielen Erscheinungsformen der Depression auf der Hand und ist tröstlich. Der Bericht von John P. Kummer über sein Erleben sowie die Interviews mit Angehörigen (siehe S. 171 ff.) zeigen dies. Auch ich habe in meinen Begegnungen mit Depressionsbetroffenen keine ganz schweren »Fälle« erlebt. Einzelne Aspekte der Krankheit bzw. des Verhaltens der Patienten lassen sich aber leichter erkennen und verstehen, wenn man sich drastische Situationen vor Augen hält.
Wenn wir schon »Übung haben« im Zusammenleben mit Depressionsbetroffenen und auf entsprechende Erinnerungen und Checklisten zurückgreifen können, ist der Schock weniger groß. Meine Zeilen richten sich aber vor allem an Angehörige, die zum ersten Mal mit der Situation konfrontiert sind.
Bricht eine Depressionserkrankung in eine Paarbeziehung oder Familie ein, sind alle Metaphern aus dem Gebiet der Naturkatastrophen anwendbar, ob Tsunami, Wirbelsturm, Erdbeben oder Lawinenniedergang. Bewährte Abläufe müssen geändert werden. Zuständigkeiten gelten nicht mehr. Der geliebte Mensch ist plötzlich nicht mehr »lieb«. Gemeinsames Erleben wird zur Utopie. Vor allem wissen wir nicht, wie lange dieser Zustand andauern wird.
Und unsere eigene Psyche gerät mit in das Sturmtief. Wir werden organisatorisch gefordert, vor allem aber auch seelisch. Und wir müssen schauen, dass wir selbst überleben. Das ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht.
Vom Wetterleuchten zum Blitzschlag
Wenn wir die Depression mit einem Gewitter vergleichen, dann wird deutlich, dass das Donnergrollen stärker wird, je näher wir dem Zentrum des Sturms kommen.
Wie die Öffentlichkeit mit dem Thema »Depression« umgeht, können Sie im Kapitel »Ein Aufruf: Weg mit dem Stigma!« lesen. Um im Bild zu bleiben: Das Volk weiß, dass Gewitter auftreten können, aber so lange diese keine größeren Schäden anrichten, beschäftigt es sich kaum damit. Man hat ja Blitzableiter installiert und eine Feuerwehr aufgestellt.
Hören wir von einem Fall im weiteren Bekanntenkreis, dann nehmen wir dies als fernes Wetterleuchten wahr. Unsere Gedanken sind bald wieder woanders, bei Problemen, die uns näher liegen. Die Depression bleibt Gegenstand von Partygesprächen.
Wird das Donnergrollen lauter, sind nahe Bekannte oder Freunde »abgetaucht«, nehmen wir die Botschaft mit Bestürzung zur Kenntnis. Wir fragen uns, wie das geschehen konnte. Wir fragen uns außerdem, wie wir uns verhalten sollen, auch den
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