Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
unser eigenes Erleben habe es gar keinen Platz mehr in der Beziehung. Die Nöte des Kranken und die Sorge um ihn breiten sich wie ein Kuckuck im Nest aus. Wir werden im Einzelnen noch sehen, wie wir für uns selber sorgen können. Hier nur so viel: Wir müssen sein Verhalten und seine Aussagen, als Ausfluss seiner Krankheit hinnehmen, und nicht als persönliche Beleidigung. Dann können wir es vermeiden, immer wieder enttäuscht zu werden und unsere Ungeduld mit dem Kranken in Grenzen halten.
Was können wir tun?
»Es macht keinen Spaß, sich in die psychische Finsternis eines andern zu begeben«, schreibt Andrew Solomon (2002, S. 442), »wenn es auch meistens noch schlimmer ist, den seelischen Verfall nur von außen zu beobachten. Man kann sich aus der Distanz Sorgen machen – oder man kann jemandem näher kommen, näher und immer näher.« Damit kann man die schreckliche Einsamkeit des Depressionskranken etwas lindern.
Also: Dasein, wenn der Kranke mich braucht, aber auch wenn er glaubt, mich nicht zu benötigen, mir nicht zur Last fallen will. Wenn er mich zurückstößt, wenn er Ausflüchte erfindet, Luftschlösser baut, mich anlügt.
»Man kann nicht objektiv messen, wie krank jemand ist… Man kann nur den Kranken zuhören und akzeptieren, dass sie sich so fühlen, wie sie es berichten«, meint Solomon dazu (S. 433).
Vielleicht hilft es den Gesunden dabei, sich in die Kranken hineinzufühlen, wenn sie sich vergegenwärtigen, dass fast jeder Mensch Angstzustände hat, vor allem, wenn er am Morgen zu früh aufwacht. Der Gesunde stoppt diese Gefühle, indem er das Bett verlässt und unter die Dusche geht; der Kranke möchte am liebsten nie mehr aufstehen.
Der Nutzen von Checklisten und Aufzeichnungen
Haben wir uns im vorigen Kapitel mit dem »Wie« der Hilfestellung beschäftigt, so kommen wir nun in die praktische Phase: Was ist zu tun? Checklisten können uns die Denkarbeit erleichtern und Irrwege vermeiden. Sie sind uns aus allen möglichen Bereichen bekannt. Ich erwähne hier nur die Checklisten im Flugverkehr, z.B. zwischen Flugkapitän und Copilot, deren strikte Befolgung schon Tausende von Menschen vor dem Tod bewahrt hat. Ein Beispiel aus dem Mittelalter der Verkehrsfliegerei: Ein Flugzeug, unterwegs von Zürich nach London, musste im Ärmelkanal notwassern (ohne Todesopfer), weil der Treibstoff ausgegangen war. Jeder der beiden Piloten war der Meinung (!), der andere habe vor dem Start den Befehl zum Volltanken gegeben …
Solche Arbeitsmittel können auch in unserem Fall nutzbringend angewandt werden. Die Checklisten im Anhang sind deshalb einer der wichtigsten Bestandteile dieses Buches. Ausgefüllte Checklisten und andere Aufzeichnungen aus Vergangenheit und Gegenwart sind von unschätzbarem Wert. Dabei können wir folgende Formen unterscheiden:
A Checklisten, die in erster Linie den Depressionskranken betreffen
A Checklisten, die vor allem den Helfern dienlich sind
A Aufzeichnungen aus früheren Krankheitsfällen
A Aufzeichnungen, die neu erstellt werden
A Dokumente, vom Depressionsbetroffenen erstellt
A Dokumente, von Angehörigen erstellt
Checklisten
Für den in diesem Buch ausführlich geschilderten »Erstfall«, wenn die Depression für Patient und seine Nächsten neu und ungewohnt ist, gibt es Checklisten im Zusammenhang mit der Diagnose. Die weiteren Listen, für die wir in den nächsten Abschnitten verweisen, sind hauptsächlich für den Depressionsbetroffenen und seine Angehörigen im Familien- und Freundeskreis. Sicher sind sie aber auch für den Vorgesetzten im Betrieb von Nutzen, der – mit bestimmten Ergänzungen – seine eigenen Überlegungen und Maßnahmen darauf stützen kann.
Zwar richten sich einzelne Checklisten mehr an den Depressionsbetroffenen, andere mehr an den Betreuer, aber um einander besser kennenzulernen und um Missverständnisse zu vermeiden, sollten Kranker und Betreuer die Dokumente des jeweiligen anderen Autors einsehen können. Vielleicht kann auch der Betreuer dem Depressionskranken beim Ordnen seiner Gedanken und Ausfüllen behilflich sein.
Aufzeichnungen
Hat der Depressionsbetroffene bereits Erfahrung mit der Krankheit, kann er (und können wir) hoffentlich auf Aufzeichnungen zurückgreifen, die während und nach der letzten Depression unseres Freundes gemacht wurden. Umgekehrt sollte – vom Betreuer und möglichst auch vom Patienten – während und nach der laufenden Erkrankung Tagebuch geführt werden. Die Eintragungen sind dann vor allem
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