Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
Erziehung, ich muss (darf) sie nicht mithilfe des Kopfes unterdrücken.
Ernstnehmen: Ich muss mich aufgrund meiner Gefühle entscheiden: Soll ich mich über die Abwechslung freuen, um dann immer daran denken zu müssen, was er jetzt wohl tut, oder soll ich bei ihm bleiben, um mein Gewissen zu schonen – und der verpassten Gelegenheit nachtrauern?
Das Beispiel zeigt zweierlei: Den Gefühlen zu folgen ist für sogenannte Kopfmenschen nicht einfach; eine Gefühlsentscheidung zu treffen heißt auch Verantwortung übernehmen.
Allerdings kann, wie gesehen, die (temporäre!) Unterdrückung einer Emotion (z.B. nach einer Meinungsverschiedenheit) sinnvoll sein, wenn man sich vor einer Entscheidung erst beruhigen will oder das Problem mit dem Patienten in einer Aussprache erörtern möchte. Wenn wir unsere Gefühle unserem Partner mitteilen (können), so zeigen wir ihm, dass wir seine und unsere Persönlichkeit respektieren.
Wie aber erkennen wir unsere Gefühle? Sicher nicht im Gewühl des Alltags. Auch schlaflose Nächte sind keine gute Ausgangslage. Wir sollten uns gedanklich und physisch vom »Schlachtfeld« entfernen, alle Nebengeräusche, von außen und in Herz und Kopf, ausfiltern. Uns Zeit nehmen und uns nicht selber unter Druck setzen, indem wir meinen, wir müssten bis dann und dann zu einer Einsicht kommen.
Meine psychologisch geschulte Tochter schreibt mir dazu: »Dafür ist es wichtig, sich immer wieder Zeit für sich zu nehmen und sich zu sammeln. Das heißt, sich zu fragen, wie man sich fühlt und dabei auch den eigenen Körper wahrzunehmen. Wie fühlt er sich an? Ist man entspannt oder verspannt? Beispielsweise in der Nacken-, Rücken- oder Magen- bzw. Bauchgegend? Im Moment zu sein hilft ebenfalls, also mit den Gedanken genau bei dem zu sein, was man gerade tut. Es hilft auch, sich zu fragen, wie viel Zeit man sich überhaupt für sich selber nimmt. Gefühle wahrnehmen ist Übungssache. Je fleißiger wir üben, desto schneller sind wir unserer Gefühle gewahr und können mit ihnen bewusst umgehen. Regelmäßiges Meditieren, Entspannungsübungen oder Yoga, Tai-Chi etc. helfen ebenfalls dabei, wieder ein Gefühl für sich zu entwickeln. Dazu gibt es eine große Ratgeber-Literatur.«
Wichtig ist auch, die wahrgenommenen Gefühle mitteilen zu können, sei es beim Partner, einem guten Freund oder in der Sprechstunde beim Arzt oder Therapeuten. Gerade auf diesem unsicheren Terrain scheint mir die Hilfe einer Fachperson, die mit kühlem Kopf (!) unser Gefühlschaos – denn ein solches wird es wohl meist sein – durch geschickte Gesprächsführung entwirrt und auslegen kann. Sie kann Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, den Ursachen der Gefühle auf den Grund gehen und die Konsequenzen von Entscheidungen (die wir selber treffen müssen) aufzeigen.
Lassen wir also Emotionen zu. Eine schwierige Aufgabe, vor allem für Kopfmenschen. Gefühle lassen sich nicht kontrollieren, sie kontrollieren eher uns; oft bestimmen sie unsere Handlungen, bevor der Kopf das Vorgehen festlegen kann. Unkontrollierbar wie sie sind, werden unsere Gefühle auch nach außen sicht- oder spürbar. Vor allem auch für unseren Patienten – das kann auf ihn und auf unsere Beziehung sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben.
Nochmals: Ich glaube, gerade auf dem Feld der Gefühle ist es für uns Angehörige genauso wichtig, professionelle Hilfe zu suchen, wie für den Depressionskranken. Ein Laie, ein vertrauter Freund mit Lebenserfahrung kann eine wichtige Funktion als geistige Mülltonne und Diskussionspartner haben. Ob er den Psychologen oder die Psychiaterin ersetzen kann, bezweifle ich in aller Bescheidenheit.
Dampfkochtopf Wut
Besondere Warnleuchten sind Wut und Aggressivität. Wenn unsere Empathie in Aggressivität umschlägt, unsere Geduld in Ungeduld oder gar Wut, dann ist das wie das Zischen des Dampfkochtopf-Ventils – ein Hinweis, dass es in unserer Seele brodelt. Wenn wir diese Zeichen missachten, wenn wir selber überrascht sind von unserer »Unbeherrschtheit«, wenn wir glauben, dass Ungeduld und Aggressivität dem Leidenden gegenüber unstatthaft seien, so kann, um beim Bild zu bleiben, der Topf explodieren, zum Schaden unserer eigenen Seele und unserer Beziehung zu dem Kranken, auch eingedenk der Tatsache, dass dessen seelische Robustheit depressionsbedingt (noch) beschränkter ist als sonst.
Wie ein Wutausbruch in gewissen Fällen den Druck vermindern kann, ohne beim Gegenüber größeren Schaden
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