Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
der einfachste Weg, diese Vorwürfe als irrelevant zur Seite zu legen. Das soll uns nicht hindern, sie zum Anlass zu nehmen, wenn nötig gewisse Korrekturen an unserem Verhalten und Vorgehen anzubringen.
Undank ist der Welt Lohn
Auf keinen Fall dürfen wir in unseren Selbstzweifeln Hilfe und Trost von unserem Patienten erwarten. Zwar mag er in gewissen Momenten dankbar sein für die Dienste, die wir ihm leisten, aber dass er unser Leben erleichtert, gar uns unsere Sorgen abnimmt, das können wir wirklich nicht erwarten. Zu eingesponnen ist er in seiner Welt, die hauptsächlich aus negativen Gedanken besteht. Und aus diesen negativen Gedanken heraus kommuniziert er mit uns. Von seiner Seite haben wir statt Trost Vorwürfe zu erwarten.
Wie erwähnt sind unsere Reaktionen auf die Signale des Kranken oft zwiespältig. Wir sind mitfühlend, aber auch wütend und versuchen gleichzeitig, unsere Wut zu unterdrücken. Der Patient spürt diesen Zwiespalt und sendet umso stärkere Signale aus seiner Depression, um sich unserer Aufmerksamkeit zu versichern – was uns hinwiederum tiefer in den Abgrund zieht.
Unsere Fürsorge wird mit Misstrauen beobachtet. Wenn wir mal an uns selber denken, wird das mit Neid quittiert. Sein angeschlagenes Selbstwertgefühl verleitet ihn, uns gegenüber aufzutrumpfen, sei es mit exzessiver Kontrolle (Wo warst du so lange?), durch unangebrachte Forderungen oder haltlose, irreale Kritik. Alte, längst erledigte Querelen werden wieder ausgegraben, an die wir uns nicht mal mehr erinnern. Oder er schweigt tagelang – ein Zustand, der uns, die wir sonst schon isoliert sind, schwer zusetzen kann, insbesondere, wenn wir im Schweigen stumme Vorwürfe zu erkennen meinen.
Ein Trost: In vielen Fällen macht uns der Kranke keine Vorwürfe. Er ist dankbar, fügsam, kollaborativ, gibt sein Möglichstes. Und gibt uns die Liebe und Wärme zurück, die wir ihn spüren lassen.
Die Schrift an der Wand
Die Facetten des Sturmes, den wir durchstehen müssen, sind die finsteren Mächte der Vorwürfe: Selbstvorwürfe, Vorwürfe der anderen und, dadurch geschürt, nochmals Selbstvorwürfe. Der schlimmste dieser Vorwürfe trägt die Fratze des Todes, des Suizids unseres Betreuten.
Wie gehen wir mit Todesdrohungen um? Wie werden wir damit fertig, ohne uns mit Selbstbezichtigungen zu zerfleischen? Das ist eine der schwierigsten Aufgaben in unserem Zusammenleben mit dem Depressionskranken. Die stete Angst, Signale zu übersehen, kann uns in ständigen Stress und an den Rand unserer Belastbarkeit bringen.
Wir müssen uns, mitten in Angst und Sorgen, über einiges klar werden: Wie reagieren wir Angehörige auf seine Ausstiegsphantasien, auf sein Nicht-mehr-Mögen? Betrachten wir sie als persönlichen Affront? Was ist mit der Verantwortung des Depressionsbetroffenen als Familienmitglied , als Ernährer, als Mutter unserer Kinder? Machen wir ihm Vorwürfe? Werden wir wütend, dass er nur an sich denkt? Fühlen wir uns erpresst um mehr Aufmerksamkeit, Pflege, Mitgefühl, Nähe? Werden wir angesichts wiederholter, sich als leer erweisender Drohungen zynisch oder gleichgültig? Oder sind wir kleinlaut und traurig und suchen den Fehler bei uns? Was haben wir dem Partner zuleide getan? Ist unsere Paarbeziehung so schlecht geworden, dass sie ihm nichts mehr bedeutet? Was haben wir versäumt?
Unsere Situation wird erträglicher, wenn wir uns vor Augen halten, dass seine Überlegungen zwar sehr viel mit Schmerz und Verzweiflung, aber sehr wenig mit jener Logik, Ethik und Moral zu tun haben, die sein Handeln in gesundem Zustand leiten würden. Er lebt in einer eigenen Welt, die weder wir noch er verstehen, die nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hat. Er ist abgehoben, nimmt seine Umwelt und die Menschen darin kaum mehr wahr, er spürt nur noch seine gewaltigen Qualen, die er verständlicherweise loswerden will. Wenn wir überhaupt in seinen Überlegungen noch vorkommen, kann es auch sein, dass er uns nicht mehr zur Last fallen will – und unsere Trauer in seinem ichbezogenen Grübeln übersieht.
Wenn wir uns klar machen können, dass seine Gedanken krankheitsbedingt und nicht gegen uns gerichtet sind, werden wir mit diesem Schwert des Damokles leichter fertig. Für uns Angehörige gibt es noch weiteres zu bedenken, das mehr oder weniger hilfreich sein mag.
So mag es für uns ein kleiner Trost sein, dass Depressionskranken – auch wegen der Wirkung der Medikamente – oft die Kraft fehlt, ihre Absichten auch zu
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