Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
Familienbande, kein In-den-Arm-Nehmen! Die arme Frau weint leise vor sich hin.
Ich hoffe sehr, dass dies ein Einzelfall war.
Ein tragischer Fall mit ungewissem Ende
Eine tragische Geschichte, die hoffentlich eine Ausnahme bleibt, zeigt, wie eine bipolare Störung eine langjährige Beziehung zugrunde richten kann.
Vor 37 Jahren, noch am Ende des Teenageralters, lernten sich Erich und Rahel kennen. Rund 30 Jahre führten der Ingenieur und die beliebte Lehrerin eine »normale« Beziehung und Ehe mit Höhen und Tiefen. Mein Interviewpartner Erich hat sie als schöne Zeit in Erinnerung.
Der einzige Sohn Leo machte keine Probleme, bis er nach dem Abitur an der Schwierigkeit der Studienwahl zerbrach und depressiv wurde. Nach mehreren Klinikaufenthalten begriff er, dass er Hilfe brauchte, und im Lauf von mehreren Jahren gelang es, ihn mit ganz einfachen Hilfsarbeiten, Psychotherapie und Medikamenten zu stabilisieren. Er nimmt heute noch regelmäßig Lithium.
Während der Depression von Leo erkrankte seine Mutter plötzlich an einer Psychose (Teddybären winkten ihr zu, eine längst verstorbene Tante lief vor ihr her), und seither wechseln sich Manien, Klinikaufenthalte und depressive Phasen ab. Von ihrem Mann wegen unlogischen, auch gefährlichen Verhaltens zum Klinikbesuch veranlasst, lief sie tags darauf wieder davon mit der Begründung, sie sei ein freier Mensch. Ihre Lehrtätigkeit gab sie auf, ebenso ein nachfolgendes Behördenamt, weil sie überfordert war. Den Haushalt besorgte sie noch einigermaßen, wenn sie auch in ihren manischen Phasen alles durcheinanderbrachte.
Die Gründe ihrer Störung wurden nie abgeklärt. Ein enges Verhältnis zum Vater, das nach seiner Wiederverheiratung mit über 70 Jahren durch die »Neue« gekappt wurde, könnte eine Rolle spielen.
Die Tragik der Erkrankung liegt für Erich vor allem darin, dass Rahel als Teil ihrer bipolaren Störung ein ausgeprägtes Borderlinesyndrom entwickelt hat. Sie überhäufte ihren Mann mit unberechtigten und unlogischen Vorwürfen. Ein Beispiel: Erich versucht seine Frau zu irgendeiner gemeinsamen Aktivität zu animieren, einem Ausstellungsbesuch, einem Spaziergang. Nachdem alles auf Ablehnung stieß, machte er sich zum Joggen bereit. Ihre Reaktion: »Warum musst du jetzt joggen gehen?«
Anmerkung des Autors: Dieses Beispiel wirft ein Licht auf meine Ratschläge weiter vorn im Buch, man solle den Depressionskranken sanft zu gemeinsamen Aktivitäten, Spaziergängen usw. animieren.
Erich musste sich auch noch grundsätzlichere Vorwürfe anhören, so zum Beispiel: Er nehme ihr den Sohn weg und er dominiere sie, obwohl bei nüchterner Betrachtung sie die hauptsächliche Entscheidungsträgerin war. Er litt auch darunter, dass sie jeglichem gesellschaftlichen Leben abgeneigt war. Sie stellte lakonisch fest: »Ich habe mein Leben gelebt.«
In ihrer grundsätzlich negativen Einstellung wehrte sie sich auch gegen jede Psychoanalyse (»Alle sind gegen mich«), verbot ihren Ärzten, sich mit dem Ehemann in Verbindung zu setzen (von der heilsamen »Dreierbeziehung« Patient, Arzt, Betreuer also keine Spur) . Sie war sprunghaft im Gespräch, fiel Erich ins Wort, war nicht kompromissbereit – früher hatte das Paar nie Streit … Heute betätigt sie sich in spiritueller Sterbebegleitung, dort kann sie ihre Hilfsbereitschaft ausleben.
Und Erich? Nach viereinhalb stürmischen Jahren als »Schutzschild« seiner Frau ist er müde. Er kann nicht mehr, er kann ihr nicht beistehen, sie weist ihn zurück. Er stellte sich die Frage: Wo bleibe ich?
Mittlerweile hat er, um seine positive Lebenseinstellung nicht zu verlieren, die gemeinsame Wohnung verlassen, lebt allein und hat mit einer alten Bekannten Kontakt aufgenommen für eine (noch) lockere, freundschaftliche Beziehung, die ihm Halt gibt. Er sieht die Scheidung als einzige Lösung, um nicht selber in der Mitte des Lebens einfach zu verdorren.
Gewissensbisse, dass er seine Frau allein lasse, müsse er sich nicht machen, denn sie hat als Erste mit einem Anwalt Kontakt aufgenommen. Sie will die Scheidung, eine Mediation komme nicht infrage.
Trotzdem steckt Erich in einer sehr schwierigen Situation. Wer kümmert sich denn um seine Frau, die er im Grunde genommen noch gern hat? Kann man sie allein lassen, nachdem sie schon zweimal suizidale Gedanken geäußert hat? Weiß sie, wann sie sich zu ihrem eigenen Schutz in die Klinik begeben muss? In letzter Zeit ging sie, die sonst Vernünftige und Sparsame, in manischen
Weitere Kostenlose Bücher