Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
Vater, der viel Zeit für sie hatte. Seiner Gattin Doris ließ er dieselben Freiheiten, die er für sich beanspruchte.
Dann kam die Zäsur: Anfang des sechsten Lebensjahrzehnts erlitt er zwei Schlaganfälle. Nach anfänglicher Verwirrtheit schien sich alles wieder einzurenken. Dann aber verstummte der blendende Alleinunterhalter. Im Herbst verfiel er in eine Depression mit Existenzängsten, die nach dem Jahreswechsel von einer nicht harmlosen Manie abgelöst wurde. Und dies wiederholte sich 15 Jahre lang. Zweimal nur ließ er sich in eine Klinik einweisen, lief aber wieder davon. Medikamente nahm er zeitweise, eine Psychotherapie außerhalb der Klinikaufenthalte zog er nicht in Betracht. Zusammen mit einem Freund sinnierte er darüber, was er eigentlich habe. Seine Bekannten reagierten verständnislos: »Was hast du denn, du hast ja alles?« Er hatte auch eine Pistole im Keller. Diese nahm ihm seine Frau eines Nachts ab. Danach fuhr sie mit ihm in die Klinik.
Ist es möglich, dass die Schlaganfälle Veränderungen im Hirn verursachten, die die Depressionen auslösten? Untersucht wurde das nicht. Allerdings waren in seiner Familie Depressions- und Suizidfälle bekannt.
Doris versuchte, die depressiven Phasen ihres Mannes so gut wie möglich zu »normalisieren«. Sein plötzliches Verschwinden vom Esstisch wurde mit seiner Eigenwilligkeit erklärt, seine kurzfristigen Absagen gesellschaftlicher Termine ebenso. Mit der Zeit aber litt das Familienleben unter seinem stundenlangen Dasitzen und Vor-sich-Hingrübeln. Seine sphinxmäßige Haltung beim Essen, wenn er überhaupt erschien, wurde zur Last. Als dann der älteste Sohn, der auswärts studierte, erklärte, er komme nicht mehr heim übers Wochenende, war für Doris der Moment da, tätig zu werden. Sie organisierte das Familienleben nicht mehr um den Patienten herum, sondern ließ ihn daran teilnehmen oder auch nicht.
Dann die zweite, erstaunliche Zäsur: Dem starken Raucher wurde mit 68 Jahren inoperabler Lungenkrebs mit Metastasen diagnostiziert. Weg waren die Depressionen! Statt mit dem nahenden Tod zu hadern, wurde er geradezu fröhlich: »Jetzt weiß ich, dass ich krank bin!« Er litt also wahrscheinlich weniger an der Depression als daran, eine Depression zu haben.
Wie reagierten die drei Söhne im Teenageralter? »In Ruhe lassen«, so lautete das Motto des Ältesten und des Jüngsten, wobei der Älteste sich »auslüften« ging, wenn der Geduldsfaden seiner Rücksichtnahme riss. Der Jüngste fand ein Ventil im fast täglichen Schachspiel – mit seinem Vater. Der Mittlere, ein Künstlertyp, wurde noch stiller, als er schon war. Er litt wohl am meisten darunter, dass der aktive und bastelfreudige Vater zur Sphinx erstarrt war.
Und Doris? Sie nahm die neue Situation hin und dachte nie daran, Kuno zu verlassen. Sie betrachtete aber das Verhältnis zu ihrem Mann auch nicht als Pflegeaufgabe. Sie informierte sich nicht weiter über die Krankheit, sie verfügte über keine Ratschläge, wie sie in diesem Buch erwähnt sind, sie behandelte ihn fraulich-intuitiv richtig. Sie gewöhnte sich an seine neue Wesensart und tröstete sich mit der Aussicht auf den wiederkommenden Frühling. Ihr eigenes Verhalten entsprach den Grundsätzen dieses Buches: Die frühere Lehrerin erlernte einen der Psychologie nahestehenden Beruf, den sie zu etwa 20 Prozent ausübte. Dieser Beruf befriedigte sie und erlaubte ihr, »abzuschalten«.
Hin und wieder explodierte sie allerdings auch. Die Rücksichtnahme Kunos, z. B. auf ihre Hausarbeit, war krankheitsbedingt äußerst eingeschränkt. Auf ihre Klagen fragte er dann treuherzig: »Weißt du, wie du mit mir gesprochen hast?« Und: »Im Falle meines Todes erteile ich dir Generalabsolution!«.
Sie hatte die Unterstützung durch gute Leute, wie sie sagt. Ihre Mutter betete für sie. Und doch kam sie manchmal an ihre Grenzen, wenn sie gefragt wurde, wie es Kuno gehe, und sie an ihr eigenes Befinden erinnert wurde.
Eineinhalb Jahre nach der Diagnose erlag Kuno seinem Krebsleiden. Doris wandte sich einem neuen Leben zu.
Bessere Information und eine Psychotherapie hätten dem Leben von Kunos Frau und Kindern eine andere Richtung geben können.
Ende noch ausstehend
Regina war die ersten tausend Wochen ihres Lebens eine pflegeleichte Tochter. Während des Universitätsstudiums begannen sie körperliche Leiden zu plagen von Blasen-, Darm- bis Kopfwehproblemen. Während der Krankheiten war sie unausstehlich; sie wusste das, zog sich zurück
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