Der 1. Mord - Roman
zurück.«
Kaum war der Aufzug geschlossen, drehte Cindy sich um und sah sich in der riesigen Halle nach der Polizistin um. Im letzten Moment sah sie, wie die Frau in der Damentoilette verschwand.
Schnell folgte Cindy ihr. Die Toilette war leer, abgesehen von ihnen beiden.
Die Polizistin stand vor dem Spiegel. Sie war fast einen Meter achtzig groß, schlank und beeindruckend. Verblüfft stellte
Cindy fest, dass sie geweint hatte. Mein Gott! Wieder war sie auf den Spuren ihrer Story. Was hatte diese Frau am Tatort gesehen, dass sie so durcheinander war?
»Alles in Ordnung?«, fragte Cindy schließlich leise.
Die Frau verspannte sich, als ihr klar wurde, dass sie nicht mehr allein war. Doch ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie drauf und dran war, alles herauszulassen. »Sie sind doch diese Reporterin, die bis nach oben gekommen ist.«
Cindy atmete aus und nickte.
»Wie haben Sie das geschafft?«
»Weiß ich nicht. Vielleicht Glück gehabt.«
Die Frau zog ein Papiertaschentuch aus der Tasche und betupfte sich die Augen. »Ich fürchte, Ihre Glückssträhne ist jetzt vorbei, falls Sie damit rechnen, von mir etwas zu erfahren.«
»So habe ich das nicht gemeint«, widersprach Cindy. »Ist mit Ihnen wirklich alles in Ordnung?«
Die Polizistin drehte sich um. Ihre Augen schrien: » Ich habe Ihnen nichts zu sagen! « Doch sie logen. Es war, als brauchte sie jetzt mehr als alles andere auf der Welt jemanden, mit dem sie sprechen konnte.
Es war einer dieser seltsamen Augenblicke, in denen Cindy genau wusste, dass da etwas unter der Oberfläche war. Es war, als hätten sie die Rollen getauscht und könnten sogar Freundinnen werden.
Cindy holte eine Visitenkarte aus der Tasche und legte sie vor der Polizistin aufs Waschbecken. »Wenn Sie mal mit jemandem reden wollen…«
In das hübsche Gesicht der Polizistin kam wieder Farbe. Sie zögerte, schenkte Cindy dann jedoch die Andeutung eines Lächelns.
Cindy lächelte zurück. »Wo ich schon mal hier bin …« Sie trat zu einem Spiegel und nahm ihre Kosmetiktasche heraus. Dann fing sie den Blick der Polizistin im Spiegel auf.
»Hübsche Weste«, bemerkte sie.
10
Ich arbeite in der Hall of Justice, dem Justizpalast. Wir nannten den grauen, zehn Stockwerke hohen Granitbau einfach die Halle. Er stand nur ein kleines Stück westlich der Schnellstraße an der Ecke von Sixth und Bryant. Wenn das Gebäude mit seinen ausgeblichenen, sterilen Korridoren nicht schon verdeutlichte, dass dem Polizeiwesen jeglicher Stil fehlte, so tat das auf alle Fälle die Nachbarschaft. Bruchbuden der Kautionshaie, Läden mit Autoersatzteilen, Parkplätze und schmierige Cafés.
Für jedes Anliegen gab es in der Halle die richtige Anlaufstelle: Autodiebstahl, Sexualverbrechen, Raub. Die Staatsanwaltschaft befand sich im siebten Stock, in winzigen Büros mit gescheiten jungen Staatsanwälten. In der neunten Etage war ein Zellentrakt. Nur ein einziges Stockwerk zwischen Festnahme und Anklage. Nebenan hatten wir sogar die Leichenhalle.
Nach einer hastigen, knappen Pressekonferenz hatten Jacobi und ich uns oben verabredet, um noch einmal durchzugehen, was wir bisher hatten.
Wir zwölf waren für die Morde in der gesamten Stadt zuständig. Wir teilten uns ein sieben mal zehn Meter großes Büro, das von grellen Neonröhren erhellt wurde. Mein Schreibtisch war erste Wahl, direkt am Fenster, von wo aus man einen schönen Blick auf die Auffahrtsrampe zur Schnellstraße hatte. Immer lagen Stapel von Akten, Fotos und offiziellen Verlautbarungen darauf. Der einzige wirklich persönliche Gegenstand war ein Plexiglaswürfel, den mir mein erster Partner geschenkt hatte. Darauf standen die Worte: Du kannst nicht wissen, in welche Richtung der Zug gefahren ist, wenn du nur die Schienen betrachtest.
Ich machte mir eine Tasse Tee und traf mich mit Jacobi im Vernehmungsraum Eins. Auf eine frei stehende Tafel zeichnete ich zwei Spalten: eine für das, was wir wussten, und eine für das, was wir überprüfen mussten.
Jacobis erste Befragung der Eltern des Bräutigams hatte nichts erbracht. Der Vater war ein hohes Tier an der Wall Street; er leitete ein Unternehmen, das internationale Firmen aufkaufte. Er hatte ausgesagt, dass er und seine Frau geblieben seien, bis die letzten Gäste gegangen waren. Danach hätten sie »die Kinder nach oben begleitet«. Die beiden hätten keine Feinde gehabt. Keine Schulden, keine Süchte, keine Drohungen. Nichts, was eine so grauenvolle, undenkbare Tat ausgelöst haben
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