Der 1. Mord - Roman
sollten.«
Viel mehr konnte ich bei dieser Verhandlung nicht herausschlagen. Zumindest hatte ich meinen Fall behalten. »Und wie soll ich Sie anreden? Captain?«
Raleigh hängte sich lässig ein hellbraunes Sportjackett über die Schulter und ging zur Tür. »Versuchen Sie’s mal mit meinem Namen. Ich bin seit fünf Jahren Zivilist.«
»Okay, Raleigh«, sagte ich und lächelte. »Haben Sie während Ihres Dienstes im Norden schon mal eine Leiche gesehen?«
13
Bei der Mordkommission hieß es immer über die Gerichtsmedizin, dass sie trotz der miesen Umstände hervorragend fürs Geschäft sei. Es geht doch nichts über den beißenden Geruch von Formaldehyd oder den deprimierenden Glanz der gekachelten Korridore, um einem die Plackerei bei der Verfolgung von Hinweisen, die ins Nichts führen, als inspirierende Arbeit erscheinen zu lassen.
Aber dort liegen nun mal die Leichen.
Und dort konnte ich meine Freundin Claire antreffen.
Über Claire Washburne gab es eigentlich nur zu sagen, dass sie brillant, extrem effizient und meine absolut beste Freundin war. Seit sechs Jahren war sie die leitende Gerichtsmedizinerin der Stadt. Wie alle beim Morddezernat wussten, war dieser Titel viel zu wenig, da sie praktisch das Amt für Anthony Righetti führte. Righetti ist ihr aufgeblasener Chef, der sämtliche Verdienste für sich beansprucht, aber Claire beklagt sich selten.
Unserer Meinung nach ist Claire die Gerichtsmedizin. Doch vielleicht passte die Vorstellung von einer Frau in diesem Amt nicht einmal in San Francisco ins Bild.
Und noch dazu von einer schwarzen Frau.
Als Raleigh und ich kamen, wurden wir in Claires Büro geleitet. Sie trug ihren weißen Arztkittel; der Spitzname Schmetterling war auf der oberen linken Tasche eingestickt.
Als Erstes fiel einem bei Claire auf, dass sie fünfzig Pfund mehr mit sich herumtrug, als nötig gewesen wären. Das war schon seit unserer ersten Begegnung so. »Ich bin in Form«, erklärte sie immer lachend. »Rund ist schließlich auch eine Form.«
Das Zweite, was an ihr auffiel, war ihr fröhliches, zuversichtliches Benehmen. Sie scherte sich keinen Deut um die Meinung anderer. Sie hatte den Körper einer Brahmanin, den Verstand eines Falken und die zarte Seele eines Schmetterlings.
Als wir eintraten, lächelte sie mich müde, aber zufrieden an, als hätte sie den Großteil der Nacht durchgearbeitet. Ich stellte Raleigh vor, und Claire gab mir durch ein Augenzeichen zu verstehen, wie beeindruckt sie von ihm war.
Alles, was ich in vielen Jahren auf den Straßen gelernt hatte, übertrumpfte sie mit angeborener Weisheit. Wie sie die Anforderungen ihrer Arbeit, die ständige Profilierungssucht ihres Chefs und die Erziehung zweier Teenager bewältigte, war ein Wunder. Und ihre Ehe mit Edmund, der im San Francisco Symphony Orchestra die Pauke spielte, ließ mich daran glauben, dass diese Institution durchaus noch berechtigt war.
»Ich habe dich schon erwartet«, sagte sie, als wir uns umarmten. »Ich habe dich gestern Abend von hier aus angerufen. Hast du meine Nachricht nicht bekommen?«
Als sich ihre tröstlichen Arme um mich legten, stieg in mir eine Flut von Gefühlen auf. Ich wollte ihr alles erzählen. Wäre Raleigh nicht dabei gewesen, hätte ich wohl gleich mit allem herausgeplatzt: Orenthaler und aplastische Anämie.
»Ich war total geschafft«, erklärte ich. »Ein langer, harter Tag.«
»Offensichtlich kennen sich die Damen«, sagte Raleigh und lachte leise.
»Standardvorbereitung einer Obduktion«, erwiderte Claire lächelnd. »Sagen Sie bloß nicht, dass man Ihnen das im Rathaus nicht beibringt.«
Er breitete die Arme aus.
»Von wegen. Das muss man sich verdienen«, erklärte Claire. Dann wurde sie ernst. »Ich habe die ersten Untersuchungen heute Morgen abgeschlossen. Wollt Ihr die Leichen sehen?«
Ich nickte.
»Ich warne euch, die beiden sind nicht gerade eine Reklame für die Moderne Braut .«
Sie führte uns durch mehrere Türen zu dem großen Kühlraum, wo die Leichen gelagert wurden.
Ich ging mit Claire voraus. Sie zog mich an sich und flüsterte: »Lass mich raten. Du hast Jacobi auf die Nase geküsst, und schwuppdiwupp ist dieser Märchenprinz erschienen.«
»Er arbeitet für den Bürgermeister, Claire«, entgegnete ich lächelnd. »Sie haben ihn abkommandiert, um sicherzugehen, dass ich nicht beim ersten Tropfen Blut in Ohnmacht falle.«
»Na, in dem Fall solltest du den Mann festhalten«, sagte sie und stieß die dicke Tür zum Kühlraum
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