Der 1. Mord - Roman
wollte, dass sie sich an alles erinnerte.
Ebenso wie die Verkäuferin in der Braut-Boutique bei Saks.
»Sind Sie hier, um das Museum zu besuchen, Mr. Campbell?«, fragte Kaylin, während sie tippte.
»Zur Hochzeit der Voskuhls«, erklärte er.
»Das sagen alle«, meinte sie lächelnd.
Er verfolgte das Klicken ihrer pfirsichfarben lackierten Nägel auf den Tasten, als sie seine Reservierung eingab. »Ich habe für Sie ein Deluxe-Zimmer mit herrlicher Aussicht«, sagte sie und reichte ihm den Schlüssel. »Viel Spaß bei der Hochzeit und einen angenehmen Aufenthalt«, fügte sie hinzu.
»Werde ich haben«, erwiderte Campbell lächelnd. Ehe er ging, fing er ihren Blick auf und sagte: »Apropos Hochzeit - mir gefällt Ihr Ring.«
Oben zog er die Vorhänge beiseite. Und tatsächlich, der Blick war prächtig - wie sie versprochen hatte.
Der Blick auf Cleveland, Ohio.
49
Ich sah ihn, diesen Dreckskerl. Was tat er dort?
In einer großen, wimmelnden Menge auf der Lower Market Street. Nur einen kurzen Moment lang, zwischen den Leuten, die sich zur Fähre durchkämpften.
Bei seinem Anblick erstarrte mein Blut zu Eis.
Er trug ein offenes blaues Hemd und ein braunes Cordjackett. Es sah aus wie ein Universitätsprofessor. An jedem anderen Tag wäre ich an ihm vorbeigegangen, ohne ihn zu bemerken. Er war dünn, hager und - abgesehen von einer einzigen Ausnahme - völlig unauffällig.
Es war sein rötlich grauer Bart.
Sein Kopf tauchte aus der dahinhastenden Menge auf und verschwand wieder. Ich folgte ihm, war jedoch nicht imstande, die Entfernung zwischen uns zu verkürzen.
»Polizei!«, rief ich, doch mein Schrei ging im Stimmengewirr des Menschengewühls unter. Jeden Augenblick konnte ich ihn verlieren.
Seinen Namen kannte ich nicht, nur die seiner Opfer: Melanie Brandt. Rebecca DeGeorge.
Unvermittelt blieb er stehen. Er trotzte der Menge, kehrte um und kam direkt auf mich zu. Sein Gesicht schien erleuchtet zu sein, vor einem dunklen Hintergrund zu strahlen, wie eine dieser alten russischen Ikonen. Inmitten der vielen Menschen trafen sich unsere Blicke.
Es war ein Moment der Erleuchtung, des Erkennens, losgelöst vom Chaos der Menge. Er wusste, dass ich es war. Dass ich diejenige war, die ihn verfolgte.
Entsetzt sah ich, wie er floh. Die Menge hüllte ihn ein und riss ihn mit.
»Halt, stehen bleiben, oder ich schieße!«, schrie ich. Kalter Schweiß brach in meinem Nacken aus. Ich zückte meine Waffe. »Alle hinlegen!«, schrie ich, doch die Menge drängte
weiter und schirmte ihn ab. Ich würde ihn verlieren. Der Mörder entkam.
Ich hob die Waffe und zielte auf seinen rötlichen Bart. Er drehte sich um und grinste mich unverschämt an, weil er mich so total überlistet hatte. Ich holte Luft und zielte ruhig. Dann wandten sich sämtliche Gesichter der Menge wie in Zeitlupe mir zu.
Ich wich zurück und ließ entsetzt die Waffe sinken.
Jedes Gesicht in der Menge hatte einen rötlichen Bart.
Offenbar hatte ich geträumt, denn ich saß in meiner Küche und blinzelte in die wirbelnden Kreise meines Chardonnays. In meiner Wohnung herrschte die vertraute Ruhe. Keine drängelnde Menschenmenge. Keine fliehenden Gesichter. Nur Sweet Martha lag auf ihrem Futon.
Auf dem Herd dampfte kochendes Wasser. Ich war dabei, meine Lieblingssoße zuzubereiten: Ricotta, Zucchini und Basilikum. Eine CD lief, Tori Amos.
Erst vor einer Stunde hatten noch Schläuche und Nadeln in meinem Körper gesteckt. Mein Herzt hatte im metronomartigen regelmäßigen Rhythmus des piependen Monitors gepocht.
Verdammt, ich wollte mein altes Leben zurückhaben. Meine alten Lieblingsträume. Ich sehnte mich nach Jacobis Sarkasmus, Sam Roths Wut, dem Jogging auf der Marina Green. Ich wollte auch Kinder - selbst wenn das bedeutete, noch mal heiraten zu müssen.
Plötzlich klingelte es unten an der Tür. Wer konnte das jetzt sein? Ich schlurfte zur Sprechanlage und fragte: »Wer ist da?«
»Ich dachte, Sie hätten eine Verabredung?«, sagte die knisternde Stimme.
Es war Raleigh.
50
»Was machen Sie denn hier?«, fragte ich verblüfft zurück.
Ich freute mich, aber plötzlich kribbelten meine Nerven. Ich hatte das Haar hinten hochgebunden, trug ein altes Berkeley-T-Shirt, in dem ich auch gelegentlich schlief, und fühlte mich ausgelaugt und rastlos von der Transfusion. Meine kleine Wohnung war ein Saustall.
»Darf ich raufkommen?«, fragte Raleigh.
»Dienstlich oder privat?«, fragte ich. »Wir müssen doch nicht nach Napa fahren,
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