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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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ich gewollt schrill.
    »Früher oder später erfährst du es eh. Sie ging in unsere Klasse.«
    Ich konnte die Tränen sehen, die sich in ihren Augen sammelten.
    »Was?«, wiederholte ich. Ich wunderte mich, dass ich diese Rolle wirklich spielen konnte. Dass ich brutal genug war, um ihr das anzutun.
    Ich war zum Kotzen!
    Zumindest musste ich sie jetzt irgendwie trösten. Ich konnte ihr doch nicht in die Fresse hauen und sie dann einfach liegen lassen.
    Hilflos legte ich ihr einen Arm um die Schultern und strich ihr über die Haare. »Wenn du drüber reden willst, bin ich da, okay?«
    Sie nickte stumm.
    Aus den Augenwinkeln sah ich Danner auf uns zukommen.
    Ich wusste, er hatte mir Zeit gelassen, um mit Lena zu sprechen. Wenn er noch länger ignorierte, dass wir nicht am Unterricht teilnahmen, würde Karo ihm unterstellen, brave Mädchen zu bevorzugen.
    »Mist, Martens«, raunte ich Lena zu und war froh, sie loslassen zu können.
    Hastig fuhr sie sich über die Augen.
    »Ich halt ihn dir vom Hals«, flüsterte ich und ging entschlossen auf Danner zu.
    »Willst du dich heute noch mal am Unterricht beteiligen, Lila?«, erkundigte er sich.
    Lena trollte sich eilig in Richtung der Startbahn.
    »Lustig, mich durch die Gegend zu hetzen, nicht wahr?«, zischte ich, als Lena uns nicht mehr hören konnte.
    »Dachtest du, die Gelegenheit lasse ich mir entgehen?«, grinste er.
    »Mach weiter so und ich kann morgen keinen Schritt mehr gehen. Dann kannst du deine Arbeit selber machen.«
    Schweißfuß-Jendrick kam mit schlurfenden Schritten angetrabt. Selbst wenn er rannte, erinnerte er an das Riesenfaultier aus Ice Age.
    »Du willst wohl unbedingt noch mal tausend Meter laufen, was?«, fragte Danner sachlich, denn Jendrick konnte es hören.
    Und ich zweifelte nicht daran, dass er tatsächlich darauf bestehen würde.
    Dem Sportunterricht folgte eine ganz passable Erdkundestunde bei einer jungen Blondine mit frechem Kurzhaarschnitt.
    In der vierten Stunde quälte uns die pferdegesichtige Susanne Lehnert mit Religion und ihrer quäkenden Stimme, die sicherlich die ungeklärte Ursache der in ihren Klassen gehäuft auftretenden Kopfschmerzen war.
    Nach der Stunde sprach ich sie auf das Schwimmtraining an. Ich wusste ja, dass sie nach Ahrends Beurlaubung den Mädchenkader übernommen hatte.
    Sie sah unzufrieden an mir herunter, als benötigte ich Schwimmhäute zwischen den Fingern, um an ihrer Gruppe teilnehmen zu dürfen.
    »Die Wettkampfsaison läuft noch zwei Wochen. Ich werde mich nicht um dich kümmern können«, stellte sie abweisend klar.
    »Kein Problem. Ich will nur ein paar Bahnen mitschwimmen. In Hannover war ich auch im Verein und ich möchte die Trainingspause nicht zu groß werden lassen«, log ich.
    Sie nickte widerwillig: »Na schön. Komm um sieben vorbei.«
    Ging doch.
    Die letzten beiden Stunden hatten wir Französisch.
    Bei Dittmer.
    Wir mussten den Raum wechseln, denn Fremdsprachen wurden im Sprach-Turm unterrichtet. Genauer gesagt im vierten Stock, in einem Sprachlabor, in dem jeder Sitzplatz mit Kopfhörern und CD-Player ausgerüstet war.
    Mir war etwas mulmig zumute, denn, wie gesagt, in Französisch fehlten mir mindestens vier Jahre.
    Doch nach den ersten Minuten atmete ich auf. Dittmer interessierten meine Französischkenntnisse genauso wenig wie die der anderen zweiunddreißig Schüler. Bereits im Deutschunterricht war mir aufgefallen, dass ihm kaum jemand auf seine Fragen antwortete, in Französisch umging er dieses Problem, in dem er einfach keine Fragen stellte.
    Damit ihm Konfrontationen wie neulich die mit Karo erspart blieben, hatte er anscheinend beschlossen, die Schüler erst mal mit einem viertelstündigen Vortrag einzuschläfern und so angriffsunfähig zu machen.
    Und es funktionierte.
    Seine Sprechweise war monoton und sein Sprachfehler trug nicht gerade zur Verständlichkeit bei. Als wir müde genug waren, ließ er uns den Rest der Zeit eine Zusammenfassung über seinen Vortrag schreiben. Da ich keine Ahnung hatte, worum es in seiner Rede gegangen, kaute ich auf dem dicken, weißen Plastikschaft meines Lamy-Füllers und beobachtete Dittmer.
    Er korrigierte, tief über das Lehrerpult gebeugt, Vokabeltests. Den Kopf hielt er zur Seite geneigt, die Beine unter dem Tisch zusammengefaltet. Er trug einen grünen Pullunder über einem gestreiften Hemd und flache Slipper, wie sie in den Siebzigern mal modern gewesen waren. Gut möglich, dass sie tatsächlich noch aus den Siebzigern stammten. Ich konnte mir

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