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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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Franzi. »Er hat sich die Schuld an ihrem Tod gegeben.«
    »Die hatte er ja auch! Der hat sie mit seiner Spannerei doch wahnsinnig gemacht.« Erschrocken, weil ihr das herausgerutscht war, hielt sich Karo eine Hand vor den Mund.
    »Ich glaube nicht, dass er Schuld hatte«, widersprach ich langsam. »Ich glaube, niemand kann etwas daran ändern, wenn sich jemand wirklich umbringen will. Keiner von all den Leuten, die sich hinterher Vorwürfe machen.«
    Karo und Franzi musterten mich erstaunt.
    Lena lächelte dankbar. Tränen glänzten in ihren Augen.
    Mir wurde klar, dass Jendrick Haberland nicht der Einzige gewesen war, der sich schuldig an Evas Tod gefühlt hatte.
    Ich wusste, ich musste weitermachen. Das Gespräch war jetzt genau da, wo ich es hatte haben wollen.
    Ich konnte nicht.
    Ich wollte nicht wissen, wie schuldig Lena war.
    Ich stand auf und ging aus der Klasse.
    Draußen regnete es in Strömen, doch ich brauchte frische Luft. Ich wickelte mich in meine Jacke und schlenderte über den Schulhof. Der Regen klatschte mir ins Gesicht, ich spürte die dicken, kalten Tropfen durch meine Haare schlagen und über meine Kopfhaut rinnen. Ein paar Minuten lang hielt ich mein Gesicht in den Wind.
    Ich hörte, wie der Gong geläutet wurde und Direktor Frevert mit einer Lautsprecherdurchsage die Schweigeminuten für Jendrick ankündigte.
    Dann war nichts mehr zu hören, außer dem entfernten Straßenlärm und dem prasselnden Regen auf dem Asphalt, auf meiner Jacke, meinem Gesicht.
    Drei Minuten lang.
    Als die drei Minuten verstrichen waren, wurde der Unterricht wieder aufgenommen.
    Wirklich eine unkomplizierte Lösung für diesen Fall. Eva hatte sich wegen Jendrick umgebracht und Jendrick wegen Eva.
    Noch Fragen?
    Nein? Dann schnell drei Minuten schweigen und die Akte im Archiv verschwinden lassen. Es war das Beste, was der Polizei hatte passieren können.
    Und dem Mörder ebenfalls, wenn es einen gab.
    Oder der Mörderin …
    Wenn jemand am Dienstag nach dem Biologieunterricht mit Eva im Klassenzimmer gewesen wäre und sie aus dem Fenster gestoßen hätte, dann wäre er bestimmt völlig aus dem Häuschen darüber, dass Jendrick, der Vollidiot, von ihm ablenkte.
    Gut, bisher war Jendrick selbst natürlich die beste Besetzung für die Rolle des Mörders gewesen. Aber hätte er das nicht in seinem Abschiedsbrief erwähnt? Hätte er nicht etwas geschrieben wie: Ich war’s! Ich hab sie aus dem Fenster geschubst?
    Wenn Jendrick sich allerdings nur umgebracht hatte, weil er ein Trottel war, dann hatte sein Tod nichts mit unserem Fall zu tun.
    Wir mussten weitermachen, wo wir aufgehört hatten: bei Jendricks Alibi, das ich eigentlich schon beim Schuh des Manitu hätte prüfen sollen. Bei den Fotos der Schwimmerinnen. Und beim schönen Mario.
    Wieder ertönte der Gong, diesmal zur großen Pause.
    War es wirklich schon halb zehn?
    Ich hatte gar nicht gemerkt, dass mir der Regen aus den Haaren in den Kragen gelaufen war und als kalter Bach meinen Rücken herunterrann. Meine Nase war wahrscheinlich rot gefroren.
    Ich wischte mir durchs Gesicht und ging zurück ins Gebäude, während alle anderen herauskamen.
    Fast alle: Den schönen Mario entdeckte ich, gefolgt von Sancho und Pancho, auf dem Weg zum Naturwissenschafts-Turm.
    Gute Gelegenheit, einen Punkt von meiner Liste der dringend zu klärenden Dinge zu streichen.
    »Lila-Schatz, hat dich der Sklaventreiber etwa schon wieder verdonnert?«, begrüßte mich Orkan, als ich in den Bioraum trat.
    »Die ganze Woche«, murrte ich.
    »Der Asi aus deiner Klasse soll sich aufgehängt haben, hab ich gehört«, bemerkte Mario.
    »Scheint so.«
    Mit dem Schwamm in der Hand schlenderte ich zu den Jungs hinüber.
    »Kippe?« Mario hielt mir eine hin.
    Ich strich mir eine Haarsträhne, an der Regenwasser herunterlief, hinters Ohr und griff zu. Orkan sprang sofort auf und gab mir Feuer.
    »Soll wegen diesem Mädchen gewesen sein, das aus dem Fenster gesprungen ist.« Ich zog an der Zigarette und ließ Mario nicht aus den Augen. »Sie war doch mit dir zusammen, oder?«
    Marios Augenbrauen zuckten aufeinander zu: »Wer sagt das? Die Bode?«
    »Stimmt’s, oder nicht?«
    »Quatsch! Wir haben ein paarmal gevögelt, das ist alles.« Sein Blick huschte unruhig unter den langen Wimpern hin und her.
    »Hat sie auch gewusst, dass das alles war?«, erkundigte ich mich und pustete ihm den Zigarettenrauch ins Gesicht.
    Er wurde wirklich rot! Offensichtlich gehörte er zu den Menschen, deren Gesichtsfarbe

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