Der 13. Brief
gefunden«, verteidigte er sich.
Hm. Dass Lena die Seite nach Evas Tod rausgerissen hatte und am liebsten vergessen wollte, konnte ich nachvollziehen. Und dass sie ihre Mutter den Müll raustragen ließ, klang ebenfalls möglich.
»Außerdem steht ja nichts drin, außer dass Lena glücklicherweise nicht bei dem Kerl landen konnte.«
Na toll, Super-Dad! Deine Tochter hat ein Riesenproblem mit ihrer Selbsteinschätzung und du freust dich, dass sie als Jungfrau in die Ehe geht! Ich hütete mich natürlich zu verraten, dass der Zug schon lange abgefahren war.
»Und kannst du was damit anfangen?«, drängelte Staschek. »Weißt du, welchen Typ sie meint?«
Natürlich wusste ich es.
Ich versuchte, die Auswirkungen dieser Sache abzuschätzen. Der schöne Mario war also Evas Freund gewesen. Lena hatte Eva ihr Okay gegeben, aber dann kochte sie doch vor Eifersucht. Ergab das ein Mordmotiv?
O Gott, hatte ich das wirklich gerade gedacht?
So ein Quatsch! Hatte Lena nicht gemeinsam mit Karo und Franzi den Biologieraum verlassen? Hatte sie nicht ein Alibi?
Brauchte sie ein Alibi?
Meine Gedanken drehten Saltos. Ich schaffte es nicht, sie zu ordnen und zu überblicken, was sie auslösen konnten.
»Was jetzt? Hast du eine Ahnung, auf wen Lena steht oder nicht?«
Ich schüttelte langsam den Kopf. »Vielleicht kann ich es rauskriegen«, zögerte ich die Antwort hinaus. »Aber dazu müsste ich Lena mal allein erwischen.«
»Nach dem Schwimmtraining heute Abend«, schlug Danner vor.
»Ich soll in den drei Minuten, die wir vorm Eingang auf ihre Mutter warten, rausfinden, welchen Typen sie ihrer toten Freundin nicht gegönnt hat?«
Danner dachte kurz nach. »Lenny, sag Yvonne, dass du Lena abholst«, sagte er dann zu Staschek. »Wenn du sie versetzt, kann sie mit Lila mit dem Bus nach Hause fahren.«
»Damit sie mich wieder wochenlang beschimpft?«, protestierte Staschek.
»Du wirst es überleben, ist ja nichts Neues für dich.«
33.
Als sich Punkt acht Uhr der Direktor mit Dittmer zusammen vor unsere Klasse stellte, wusste ich wohl als Einzige, was jetzt kam. Dittmer zupfte an seinem Pullunder herum und räusperte sich sechs bis zehn Mal.
»Meine liebe Klasse«, begann er dann förmlich. »Ich muss euch leider eine traurige Mitteilung machen. Und das so kurz nach dem –«
Er geriet ins Stocken. Das böse Wort – Selbstmord – brachte er nicht über die Lippen.
»So kurz, nachdem –!«
Faden verloren.
Ich tauschte einen missbilligenden Blick mit Karo.
Direktor Frevert schob Dittmer ungeduldig zur Seite. Der Direx war ein drahtiger, kleiner Mann, dessen wacher Blick flink durch den Raum wanderte.
»Ihr habt erst vor Kurzem eine Mitschülerin verloren«, fand er eine rasche Einleitung, »deshalb fällt es uns besonders schwer, euch heute schon wieder eine traurige Nachricht überbringen zu müssen. Das ist, denke ich, was der Kollege Dittmer sagen wollte.«
Weil ich in der letzen Reihe saß, konnte ich sehen, wie alle Schüler plötzlich ihre Haltung strafften.
»Anscheinend hat sich euer Mitschüler Jendrick Haberland für Eva Ahrends Tod verantwortlich gefühlt. Diese Last konnte er nicht tragen, deshalb hat er sich am Wochenende ebenfalls das Leben genommen.«
Sekundenlang war es totenstill.
»O Gott!«, flüsterte Karo, als leises Gemurmel durch die Reihen ging. »Ich hab gesagt, ich würde ihn umbringen, weißt du noch?«
Fünf oder sechs Köpfe senkten sich betroffen, obwohl niemand Jendrick hatte leiden können.
»Um neun werden drei Schweigeminuten für Jendrick gehalten«, fuhr der Direktor fort. »Bis dahin könnt ihr mit eurem Klassenlehrer über die Sache sprechen. Sollte sich jemand nicht in der Lage sehen, am Unterricht teilzunehmen, könnt ihr euch selbstverständlich an unsere Krankenschwester Frau Jablonski wenden. Und eure Vertrauenslehrer stehen euch ebenfalls jederzeit für Gespräche zur Verfügung.«
Der Direktor ließ seinen Blick noch einmal über die Gesichter flitzen, dann nickte er kurz und verließ den Klassenraum.
Sofort wurde das Gemurmel laut. Stühle ruckten, weil die Schüler sich zu ihren Nachbarn umdrehten.
Karo und ich liefen zu Lenas und Franzis Tisch nach vorn.
Dittmer zupfte weiter an seinem Pullunder.
»Und ich hab ihm gesagt, ich würde ihn umbringen!«, wiederholte Karo sofort, was sie mir schon gesagt hatte. »Ich konnte doch nicht wissen, dass er sich selbst aufhängen will!«
»Habt ihr gehört, dass er sich wegen Eva umgebracht haben soll?«, fragte
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