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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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zwischen den linierten Seiten meines Heftes zu Karo hinüber. Zur Abwechslung nahm ich mal wieder meinen imaginären Liebhaber zu Hilfe: »Glaubst du, Flo steht drauf?«
    Als Karos Blick auf das Foto fiel, versteinerte ihr Gesicht.
    Ohne ein Wort klatschte sie den Block vor mir auf den Tisch, sprang polternd auf und stampfte in ihren klobigen Stiefeln zur Tür hinaus.
    »Karoline …!«, begann Dittmer lahm, doch bevor er sich überlegt hatte, was er sagen wollte, rummste die Tür schon hinter Karo zu.
    Die verblüffte Stille vibrierte noch einen Moment lang im Klassenzimmer. Ich klimperte erstaunt mit den Wimpern, als Dittmer mir einen fragenden Blick zuwarf.
    Ich war ehrlich überrascht. Bei Franzi hätte ich vielleicht damit gerechnet, sie mit einem Unterwäschefoto schocken zu können. Aber doch nicht Karo! Doch nicht die aufsässige, lässige, abgeklärte Karo! Was konnte sie an einem Mädchen in Unterwäsche erschrecken?
    Außer dass Eva ähnliche Fotos gemacht hatte, bevor sie aus einem Fenster gesprungen war.
    Wusste Karo über die Fotos Bescheid?
    Wusste sie, wer sie gemacht hatte?
    Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, kam Karo wieder herein und ließ sich mit immer noch steinerner Miene neben mir auf den Stuhl fallen.
    »Schön, dass du wieder bei uns bist, Karoline«, wagte Dittmer eine schwache Kritik.
    »Ich werde doch wohl noch meinen Tampon wechseln dürfen!«
    Dittmer sah schnell in eine andere Richtung.
    »Wenn du Lena und Franzi das Foto zeigst, dreh ich dir den Hals um«, zischte Karo mich an, als alle anderen sich wieder nach vorn gedreht hatten.
    Tja, Karo brauchte ich wohl keine weiteren Fragen zu stellen.
    »Scheißtag, hm?«, erkundigte sich Danner, ohne von der Zeitung aufzusehen. Staschek saß ebenfalls am Tisch und wartete aufs Mittagessen.
    »Karo ist stinksauer auf mich und blockt total ab. Außerdem bewacht sie Franzi wie ein dreiköpfiger Drache, damit ich sie nicht ausquetschen kann.«
    »Wem sagst du das? Ich versuche seit Wochen, etwas aus ihr rauszukriegen! Außerdem muss ich ihr Sportunterricht geben – und Sport hasst Karo fast ebenso sehr wie Lehrer.«
    Molle stellte eine brutzelnde Pfanne zwischen uns auf den Tisch. Käsespätzle, mmmmh!
    »Zum Glück hast du noch ein bisschen Zeit, um Franzi zu Hause zu besuchen«, stellte Danner fest. »Der Polizeiball beginnt erst um sieben.«
    Ach ja, der Polizeiball – das war ja heute!
    »Du gehst wirklich hin?«, wunderte sich Molle.
    Danner zuckte die Schultern: »Ich schätze, meine Begleitung zickt rum, wenn ich sie versetze.«
    Da lag er richtig.
    »Das hat ihn sonst nie gestört«, warnte mich Molle.
    »Such dir ’ne Frau und mach ihr ein Kind, Molle, dann brauchst du Lila nicht zu bemuttern!«, knurrte Danner.
    Molle funkelte Danner wütend an, während er erst meinen und dann seinen eigenen Teller mit Spätzle füllte. Staschek bediente sich selbst und Danner aß den Rest aus der Pfanne.
    Auf die Idee, Franzi zu Hause zu besuchen, hätte ich auch selbst kommen können. Denn so kam mir Karo nicht in die Quere.
    Das Haus, in dem Franzi wohnte, war grau mit roten Balkonen und mindestens zehnstöckig. Es dauerte einen Augenblick, bis ich den Namen Schubert auf einem der fünfunddreißig Klingelschilder gefunden hatte.
    »Ja bitte?«, meldete sich eine jugendlich klingende Frauenstimme über die Sprechanlage.
    »Mein Name ist Lila Ziegler, ich bin eine Freundin von Franzi«, stellte ich mich vor.
    »Ach, Lila, wie schön! Komm rein! Sechster Stock, neben dem Fahrstuhl links.«
    Mit einem Summen öffnete sich die Tür.
    Als ich oben aus dem Fahrstuhl stieg, wartete schon eine Frau an der Wohnungstür. Sie sah aus wie Franzis Schwester, die gleichen dunklen Kringellöckchen, die gleichen roten Wangen und die gleichen leicht schräg stehenden Augen, die halbmondförmig wurden, als sie lachte. Allerdings wog sie ungefähr vierzig Kilo mehr als Franzi. Sie trug eine ausgeleierte Jogginghose, darüber ein weites T-Shirt, Biolatschen und null Make-up.
    »Hi!« Sie streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin Ina Schubert. Ich hab mich schon gefragt, wann ich dich kennenlerne.«
    Ich kniff die Augen zusammen. Ausnahmsweise hatte ich keine Ahnung, wie alt ich sie schätzen sollte. Bei dicken Menschen ist es sowieso schwerer, weil sie in der Regel weniger Falten haben, die sie verraten.
    Die Frage war: Schwester oder Mutter?
    »Hi!«, sagte auch ich und versuchte, meine Hand aus ihrem sehr festen Griff zu lösen. »Bist du Franzis

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