Der 13. Brief
Schwester?«
Sie zwinkerte mir zu: »Schleimen ist nicht nötig.«
»Echt ihre Mutter?«
Sie betrachtete mich neugierig. »Dich hab ich mir auch anders vorgestellt.«
»Ach, wirklich?« Ich stemmte amüsiert die Hände in die Seiten. »Und wie?«
Sie zwinkerte wieder: »Nicht so brav. Ein bisschen mehr wie Karo.«
Franzi tauchte hinter ihr auf, um zu sehen, wer an der Tür war.
»Mama!«, quietschte sie empört. »Bist du bescheuert, Lila auszufragen?« Sie boxte ihrer Mutter im Vorbeigehen in die Speckfalten über den Hüften. »Sorry, meine Mutter ist manchmal echt peinlich! Komm rein! Wenn wir in mein Zimmer gehen und ein Handtuch über die Türklinke hängen, kann sie nicht durchs Schlüsselloch gucken.«
Die Wohnung war winzig. Ohne Frage lebte Franzi mit ihrer Mutter allein, eine dritte Person hätte gar keinen Platz gefunden.
In Franzis Zimmer standen ein Bett, ein Schrank und ein Schreibtisch und damit war der Raum voll. Pink, Madonna und die unvermeidlichen Kindergesichter von Tokio Hotel hingen auf Postern an den Wänden, über dem Schreibtisch eine Pinnwand mit bunten Postkarten.
»Jetzt weißt du, warum wir uns nie bei mir treffen«, meinte Franzi. »Willst du auf dem Bett sitzen oder auf dem Stuhl?«
Ich hockte mich aufs Bett: »Wie alt ist deine Mum?«
»Fünfunddreißig.«
Schnell nachrechnen.
»Sie war achtzehn, als sie mich gekriegt hat«, ersparte mir Franzi die Mühe.
»Sie ist ganz okay, oder?«, stellte ich fest und wunderte mich einen Augenblick, dass es so was tatsächlich zu geben schien.
Franzi nickte. »Mein Vater ist abgehauen, als ich zwei war. Hat auf einem Luxusliner als Animateur angeheuert. Er war zwanzig und hat sich das Leben mit Kind nicht so anstrengend vorgestellt. Aber immerhin schreibt er mir zum Geburtstag und zu Weihnachten.«
Sie deutete auf die Postkarten an der Pinnwand. Sie kamen aus der ganzen Welt: Rio, Thailand, die Fidschis, Mexiko.
Ich merkte, dass Franzi mich abwartend ansah.
»Karo ist sauer auf mich«, begann ich. »Und ich dachte, du weißt vielleicht, warum.«
Franzi machte große Kulleraugen: »Sie hat gar nichts gesagt.«
Ich zog meine leicht zerknitterten Fotos aus der Tasche: »Ich hab ihr eins gezeigt, heute in Deutsch. Sie sagt, Lena und du, ihr dürft die Bilder auf keinen Fall zu Gesicht bekommen.«
Franzi nahm mir die Aufnahmen aus der Hand und warf mir einen schnellen Blick zu.
»Und? Weißt du, was das soll?«, hakte ich sofort nach.
»Ich kann es mir denken«, sagte sie vorsichtig.
Gespannt richtete ich mich auf: »Wirklich? Ist Karo vielleicht ’ne gut getarnte Nonne oder so?«
Franzi schüttelte den Kopf: »Das hat nichts mit dir zu tun, sondern mit ihrem Krieg gegen Dittmer.«
Dittmer, der Schülerinnenbegrapscher? Mein Lieblings-Ekelerreger, seit Stinke-Socken-Jendrick diesen Posten freigegeben hatte?
»Was hat Dittmer mit meinen Fotos zu tun?«
Franzi zuckte die Schultern: »Ach, gib Karo einfach drei Tage Zeit, dann kriegt sie sich wieder ein.«
Abgeblockt.
»Erst fängst du mit Dittmer an und jetzt sagst du mir nicht, worum es geht?«, motzte ich ärgerlich. »Fotografiert er seine Schülerinnen in Unterwäsche, oder was?«
Franzi verschränkte die Arme.
Ich hätte sie erst mit gepanschtem Biergemisch abfüllen sollen. Wütend sprang ich auf. »Dann haltet doch einfach alle die Klappe! Ihr tut ja so, als müsstet ihr einen Mord vertuschen! Leck mich!«
Ich stürmte zur Tür.
»Du hast recht!«, entschied Franzi sich schnell. »Dittmer hat einen Fototick.«
Ich hielt inne.
Dittmer machte wirklich Fotos von seinen Schülerinnen?
»Er ist ein echter Kunstfreak, auch wenn er nicht so aussieht«, klärte Franzi mich auf. »Macht Aufnahmen für die Schülerzeitung und bietet eine Foto-AG an. Das hat er voll drauf. Hätte lieber Fotograf werden sollen.«
Langsam drehte ich mich wieder zu Franzi um.
»Er hat auch Fotos von Eva gemacht, du weißt schon, unsere tote Freundin.«
Ich nickte.
»Das waren super Bilder. Dittmer hat ein richtiges Studio in der Schule. Im Keller, in der Redaktion der Schülerzeitung.«
Mit Dittmer allein im Keller? Wie nett.
»Karo glaubt, er hat Eva da unten irgendwas angetan«, fuhr Franzi fort.
»Denkst du, da ist was dran?«
Franzi presste eine Hand vor die Stirn: »Ich weiß nicht. Eigentlich nicht. Karo steigert sich da ziemlich rein. Ich glaube, sie gibt einfach jedem anderen die Schuld, damit sie nicht darüber nachdenken muss, wie viel Schuld wir selbst an Evas Tod
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