Der 13. Brief
haben.«
Ich ließ Franzi nicht aus den Augen.
Sie strich sich nervös eine dunkle Locke aus der Stirn.
Konnte es sein, dass ausgerechnet die brave, kleine Franzi diejenige war, die die Sache am klarsten sah?
»Und wie viel Schuld habt ihr?«
Ihre dunkel geschminkten Augen füllten sich mit Tränen: »Wir waren alle drei keine besonders guten Freundinnen für Eva. Sie springt aus dem Fenster und keine von uns hat geahnt, dass sie überhaupt über Selbstmord nachgedacht hat. Seit der Sache mit Mario haben wir kaum noch mit Eva gesprochen. Weißt du von der Sache mit Mario?«
»Lena hat’s mir erzählt.«
»Wir wussten alle, dass Lena in ihn verknallt war. Eva auch. Dass sie trotzdem was mit ihm angefangen hat, fand ich das Allerletzte!«
Ich nickte, ohne Franzi zu unterbrechen.
»Als Eva vor ihrem Tod mit einer Grippe im Bett lag, haben wir sie nicht mal besucht. Keine von uns.« Die Tränen lösten sich aus Franzis Augen und kullerten über ihre Wangen. »Wir waren einfach nur froh, ein paar Tage lang nicht zusehen zu müssen, wie Eva vor Lenas Augen mit Mario rumknutschte.«
Obwohl sie weinte, sprach sie weiter, ohne zu stocken: »Als Eva wieder in die Schule kam, redete sie kaum mit uns. Damals dachte ich, sie wäre sauer, weil wir uns nicht gemeldet hatten. Jetzt glaube ich, sie hat über Selbstmord nachgedacht. Sie war so verändert, wie abwesend. Vielleicht hätten wir nur fragen müssen, was los war, und sie wäre jetzt nicht tot!«
Franzi verbarg das Gesicht in den Händen.
Ich rutschte neben sie aufs Bett und nahm sie in den Arm, wie ich es am Abend zuvor bei Lena gemacht hatte. Langsam wusste ich, wie das ging.
Als Franzi aufhörte zu schluchzen, war ihre Wimperntusche in schwarzen Linien über ihr Gesicht gelaufen. »Aber dass Dittmer ihr was getan hat, dass er sie in den Keller gelockt und vergewaltigt hat, kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.« Franzi wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. »Doch nicht Dittmer!«
Wirklich nicht?
»Lena glaubt auch nicht dran. Sie hat sich sogar selbst von Dittmer fotografieren lassen«, schniefte Franzi. »Ich schätze, deshalb ist Karo so sauer geworden, als du ihr die Fotos gezeigt hast. Wenn Lena sieht, wie geil deine Bilder sind, lässt sie Dittmer vielleicht noch mal Aufnahmen machen. Ich schätze, Karo hat Schiss, dass Lena auch was passiert – denn Eva muss etwas wirklich Schlimmes passiert sein.«
»Glaubst du nicht, Jendrick war’s? Er hat doch zugegeben, dass er schuld an ihrem Tod ist. Vielleicht hat er sie aus dem Fenster gestoßen?«
Franzi schüttelte den Kopf.
»Wieso nicht?«
»Weil er mit uns rausgegangen ist. Wir haben nie aufgehört, auf ihn aufzupassen, damit er Eva nicht auflauert. Ich bin hinter ihm raus und habe die Tür zugemacht. Und von außen kriegst du die Unterrichtsräume nur mit diesem Coin wieder auf, weißt du?«
Wusste ich.
»Und dann ist Jendrick mit uns die Treppe hinunter.«
»Wer war denn da noch im Bioraum?«
»Eva und Morgenroth. Sonst waren alle raus.«
Ich starrte Franzi an. Wieso hatte ich sie nicht eher gefragt?
Wenn ich ehrlich war, kannte ich die Antwort: Ich hatte sie unterschätzt. Weil sie brav war, schüchtern und – Schande über mich! – Jungfrau.
So viel zu meiner Menschenkenntnis, auf die ich mir ja gern was einbildete.
Als ich wenig später die Zimmertür öffnete, tat Ina Schubert so, als würde sie die Schuhe in dem kleinen Regal im Flur sortieren.
»Tschau, Lila«, sagte sie. »Hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«
»Dito.«
Ich zog die Wohnungstür hinter mir zu.
Danner sah mich erwartungsvoll an, als ich mich neben ihn auf das Sofa plumpsen ließ.
»Die Fotos macht Dittmer. Mädels im Badeanzug abzulichten ist ein Hobby von ihm. Und Jendrick hat ein Alibi.« Zufrieden legte ich meine Füße neben seine auf den Tisch. »Morgenroth hat keins. Der ist als Letzter mit Eva im Raum zurückgeblieben.«
Danner dachte einen Moment lang nach.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Morgenroth Eva aus dem Fenster geschubst hat«, beschloss er dann. »Die Kollegin Berthold hat vor dem Biologieraum auf ihn gewartet, er nimmt sie immer bis zum Bahnhof mit. Sie hat ihn direkt nach den Schülern herauskommen sehen. Ob Eva da noch im Raum war, kann sie zwar nicht beschwören, aber wenn Morgenroth jemanden aus dem Fenster geworfen hätte, wäre irgendwas zu hören gewesen.«
Wie immer hatte Danner seine Hausaufgaben gründlich gemacht.
»Dann wollen wir jetzt mal herausfinden, wie
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