Der 13. Brief
weit die Kollegen von der Polizei mit ihren Ermittlungen sind.«
36.
Danner ließ die Schrottschüssel wie gewohnt auf dem Behindertenparkplatz direkt vor dem Restaurant stehen.
Wer sich an die Straßenverkehrsordnung halten wollte, musste eine Runde über den voll besetzten Parkplatz drehen und stellte sein Auto dann doch halb auf dem Bürgersteig zwischen den kleinen Alleebäumen an der Straße ab.
Danner bot mir den Arm und ich hakte mich bei ihm ein.
Ich fühlte seine Muskeln durch den Stoff des Jacketts und spürte sofort wieder das gefährliche Kribbeln. Ich dachte an das Spiel mit dem Feuer, bei dem man seinen Finger jedes Mal ein bisschen länger in die Flamme hielt, obwohl jedem logisch denkenden Menschen klar sein musste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis man sich verbrannte.
Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu, denn Danner im Anzug war ein Anblick, der mir mit Sicherheit so schnell nicht wieder vergönnt sein würde.
»Keine Krawatte?«, hatte ich mich erkundigt, als er die dunkle Jacke über ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt gezogen hatte.
»So tief bin ich noch nicht gesunken!«, war seine Antwort gewesen.
Eine breite Treppe führte zur Eingangstür hinauf, wo sich aufgebrezelte Menschen in kleinen Grüppchen sammelten.
Die Mordkommission entdeckte ich sofort. Besser gesagt, Staschek und seine Frau Verena. Das lag daran, dass sie alle Blicke auf sich zog. Ihr Kleid war nur unwesentlich länger als ihre schweren, schwarzen Locken. Die hohen Absätze ihrer Stiefel ließen ihre Beine meterlang erscheinen und die Kurven ihrer Hüften, die sie in den Hausfrauenjeans hatten rundlich aussehen lassen, wirkten jetzt höllisch heiß.
Als Staschek mich sah, blinzelte er so erschrocken, als hätte ich eine Pumpgun gezogen und mit einem Amoklauf gedroht.
»Wenn du meine Tochter wärst, bekämst du Hausarrest für das Kleid!«, begrüßte er mich entsetzt.
Das war in etwa die Reaktion, die ich mir von meinem Outfit erhofft hatte. Mein Kleid war leuchtend rot, so kurz wie möglich und den BH hatte ich weglassen müssen, weil man ihn allzu deutlich gesehen hatte.
Aber nicht das Kleid war das Entscheidende, sondern der blassrote Lippenstift und die achteinhalb Zentimeter Absatz meiner Pumps. Dass ich auf den Dingern gehen und tanzen konnte, verdankte ich dem Preis, den ich dafür bezahlt, und dem Ballettunterricht, zu dem mich meine Mutter jahrelang gezwungen hatte.
»Lila?« Verena Seifert-Staschek trat neben ihren Mann.
Hatte Staschek sie eigentlich darüber aufgeklärt, wer ich war? Da Kommunikation nicht gerade zu seinen Stärken zählte, vermutlich nicht.
»Frau Seifert-Staschek, Ihr Kleid ist ja der Wahnsinn!«, begrüßte ich sie, ehrlich begeistert.
»Hast du vielleicht vergessen, mir was zu sagen, Schatz?«, fragte sie ihren Mann mit scharfem Unterton.
»Lila arbeitet für mich.« Danner küsste Stascheks Frau auf die Wange.
»Sie sind Privatdetektivin?« Sie musterte mich, als hätte Danner behauptet, ich würde hauptberuflich Tierversuche an niedlichen Hamstern durchführen.
»Neulich haben Sie mich schon geduzt«, lenkte ich ab.
»Da dachte ich auch, Sie wären sechzehn!«, schnappte sie empört und begann im nächsten Moment zu lachen. »Vergiss es. Ich heiße Verena.«
Danner begrüßte Stascheks Kollegen, als wäre er noch immer einer von ihnen. Ich bekam Küsschen auf die Hände, auf die Wangen und beides zugleich und ließ alles artig über mich ergehen.
Bald darauf saß ich zwischen mehreren hundert Polizisten und etlichen geladenen Gästen im festlich geschmückten Saal.
Das Licht war leicht gedämpft. Eine konservative Band in roten Glitzerjacketts spielte James-Last-like Hintergrundmusik. Zwischen den Tischen verteilt standen echte Palmen. Sie waren in Blumenkübel gepflanzt, die größer waren als ich selbst. Das kalt-warme Buffet, auf dem ich unter anderem einen aus einer Wassermelone geschnitzten Schwan und ein komplettes Spanferkel mit einem roten Apfel im Maul entdeckte, nahm eine ganze Wandlänge ein. Der Bratenduft vermischte sich mit verschiedenen Sorten aufdringlicher Damenparfüms. Vor einem einzelnen Tisch stand ein Rednerpult mit Mikrofon.
Einen Augenblick lang fühlte ich mich in das große, leer geräumte Wohnzimmer meiner Eltern zurückversetzt.
Ich sehe meine Mutter vor mir. Sie trägt ein bodenlanges, nachtschwarzes Kleid, das die Auswirkungen jahrelanger Diäten ausreichend zur Geltung bringt, und täuscht mit Gel-Einlagen einen Busen vor.
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