Der 13. Brief
bescheuert! Ihr braucht einen Sündenbock, weil sich ein blöder Teenager umbringen musste? Nehmt doch Dittmer, der wehrt sich nicht! Aber ich lasse mir nicht alles gefallen! Ihr wollt einen Mörder verhaften? Den könnt ihr kriegen.«
Scheiße!
Scheiße, Scheiße, Scheiße!
»Alles, was ich will, ist eine vernünftige Aussage«, bewahrte Danner noch immer die Ruhe.
Was jetzt? Was, wenn Dittmer wirklich eine Waffe in der Hand hielt?
Ich musste was tun!
Irgendwas!
Ich drückte die Klingel.
Stille.
Dann hörte ich einen dumpfen Schlag und ein Poltern. Ich brauchte es nicht sehen, ich wusste, es war ein menschlicher Körper, der zu Boden gefallen war.
Meine Hände und Füße wurden mit einem Schlag eiskalt. Hatte er Danner …?
Ich hörte leise Schritte, die sich der Tür näherten. Und ich hatte nicht mal eine Nagelfeile dabei – oder was immer Lara Croft in einer solchen Situation für eine Geheimwaffe aus dem Stiefel zog.
»Bitte, lass Danner die Tür aufmachen, bitte«, betete ich lautlos.
Die Tür öffnete sich einen Spalt und Dittmer blinzelte mich verwirrt an. »Äh – Lila?«
»Hallo, Herr Dittmer. Entschuldigen Sie die Störung. Sie sagten, ich könnte mir die Französischaufgaben, über die wir gesprochen haben, bei Ihnen zu Hause abholen.«
Ich lächelte so dämlich, wie es mit einem Puls von zweihundertzwanzig möglich war.
Er musste es schlucken.
Er musste!
»Ach ja.«
»Morgen haben wir wieder Französisch, deshalb – könnten Sie mir die Aufgaben bitte raussuchen?«
»Lila, es –!«
»Bitte!« Ich versuchte einen Augenaufschlag. Meine Achseln waren schweißnass. Meine linke Hand zitterte, ich ließ sie viel zu schnell hinter meinem Rücken verschwinden. Verdammt, so musste er einfach etwas merken!
Dittmer sah gehetzt zurück in die Wohnung. Doch dann ließ er die Schultern sinken: »Na gut. Warte einen Augenblick, ich bin gleich wieder da.«
Er drehte sich um.
Er war so mager, dass ich unter seinem rot karierten Wollpullunder deutlich die kantigen Knochen seiner Schulterblätter erahnte.
Das war die Chance!
Mit einem Schritt war ich hinter ihm, holte aus und schlug ihm mit aller Kraft meine Fingerknöchel auf den Rücken. Ich traf das Schulterblatt mit voller Wucht.
Dittmer atmete zischend aus, sein rechter Arm fiel herunter, als gehörte er nicht mehr zu ihm. Seine dünnen Beine knickten wie trockene Strohhalme ein und er landete auf den Knien. Panisch schnappte er nach Luft.
Ich sah die Flinte auf dem Tischchen hinter der Tür, packte sie und richtete den langen Lauf auf seine Stirn. »Keine Bewegung!«
Doch er riss mit der Linken seinen Kragen auf, kippte auf die Seite und blieb nach Atem ringend liegen.
Der Griff der Waffe klebte.
Kurz blickte ich auf meine Hand: Blut.
O nein! Schnell sah ich mich um.
Der Flur war kurz, die Wohnzimmertür stand offen.
»Da rein!«, schrie ich den Lehrer an. »Beweg dich!«
Ich stieß ihm den metallenen Lauf der Waffe so kräftig in den Rücken, dass er aufheulte.
Wimmernd kroch er ins Wohnzimmer.
Danner lag auf dem Rücken, links von mir, neben einem flachen Couchtisch aus dunklem Holz. Es war nicht schwer zu erraten, dass Dittmer ihm den Griff der Waffe gegen die Schläfe geschlagen hatte. Dunkles Blut versickerte in dem dicken, grünen Teppich.
Ich versuchte, Dittmer nicht aus den Augen zu lassen, während ich neben Danner in die Hocke ging. Zu meinem Glück schien der Lehrer ebenfalls das Bewusstsein zu verlieren.
Der Puls. Ich presste Danner die Finger an den Hals.
Mist! Wo war der verfluchte Puls?
Mein eigenes Herz klopfte so panisch, dass es in jedem meiner Finger pochte und ich nichts fühlte. Ich schüttelte meine Hand aus und versuchte es noch mal.
Da! – Ich spürte Danners Atmung an meiner Hand.
Er lebte! Gott sei Dank.
Erleichtert setzte ich mich auf und richtete die Flinte über Danner hinweg auf Dittmer. Allerdings schien von dem Lehrer keine Gefahr mehr auszugehen. Er lag benommen auf der Seite, rang mit offenem Mund nach Luft.
Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer wandern.
Meine Güte! Wenn ich diese Wohnung eher gesehen hätte, hätte ich sofort gewusst, dass der Typ ein Irrer war!
Nicht nur der Teppich war grün, sondern auch die schweren Fünfziger-Jahre-Gardinen, die von dicken Kordeln zusammengehalten wurden. Das dunkle Holz der massiven Möbel glänzte sorgfältig poliert. Schreibtisch, Regal und der wuchtige Wandschrank waren auffällig aufgeräumt. An den Wänden hingen große, gerahmte
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