Der 13. Brief
Fotografien: Detailfotos eines erschossenen Hirsches, der nach hinten gekippte Kopf, das blutige Maul.
Sollte dies das künstlerische Talent sein, von dem Lena und Franzi gesprochen hatten?
In der Ecke entdeckte ich einen offen stehenden Schrank, in dem ein weiteres Gewehr lehnte – Dittmer war offenbar Jäger.
Danner bewegte sich. Stöhnend griff er sich an die Stirn. Dann bemerkte er die Flinte in meiner Hand und erstarrte.
»Wie gesagt, ich räche mich für gewöhnlich«, knurrte ich ihn an.
Er folgte mit Blicken der Zielrichtung der Waffe.
»Dittmer!« Taumelnd stemmte sich Danner auf die Füße. Die linke Hand an die blutende Schläfe gepresst, riss er mit der Rechten eine der altmodischen Gardinenkordeln herunter. Dittmer brüllte vor Schmerz, als Danner ihm den leblosen Arm auf den Rücken zerrte. Ich hatte den Nerv gut getroffen, die Schultermuskeln waren schlaff, der Arm wie tot.
Danner musterte mich kurz.
Ich legte das Gewehr zur Seite und verschränkte angriffslustig die Arme.
»Was zum Teufel hast du hier zu suchen?«, zischte Danner, während er die Kordel knotete. Doch seiner Stimme fehlte die Wut.
Sollte das etwa ein schlechtes Gewissen sein? Wenn ja, dann würde ich dafür sorgen, dass er es richtig zu spüren bekam: »Hast du wirklich geglaubt, du scheuerst mir eine und schon bist du mich los? Ich dachte, du würdest mich inzwischen besser kennen!«
Er stand auf.
»Was ist? Willst du es noch mal versuchen?«, schnappte ich sofort. »Dann mach es aber diesmal richtig! Über eine alberne Ohrfeige kann ich nämlich nur lachen!«
Er wandte sich ab.
Hah! Volltreffer!
Der Schlag tat ihm leid! Damit hatte er mir ein Mittel in die Hand gegeben, mit dem ich ihn auseinandernehmen konnte wie ein altes IKEA- Regal: »Du wolltest mich nicht hier haben, richtig? Weil ich dir nur im Weg stehe – oder schlimmer, mir von dem Verrückten eine Wumme an den Kopf halten lasse – nein warte, das warst du ja selbst!«
Er drehte sich wieder zu mir: »Lila, ich habe –«
»Mir eine geballert, du Arsch!«
Er verstummte. Dann nickte er langsam.
»Lenny und Molle haben völlig recht«, gestand er unvermittelt. »Ich bin das Allerletzte.«
Wohl wahr.
Er streckte die Hand nach meinem Gesicht aus und berührte sacht meine noch immer glühende Wange.
Ich registrierte, dass mein Herz zu hüpfen begann. Danners Wirkung auf mich war noch die gleiche.
»Und ich bin auch noch dämlich. Dir wäre was Besseres als eine Ohrfeige eingefallen, um mich loszuwerden.«
Nun ja, die Idee war im Prinzip nicht ganz schlecht gewesen.
Hilflos zuckte er die Schultern: »Ich bin ein Arschloch und Vollidiot und ich bin bereit, das unter Zeugen zu wiederholen.«
»Darauf komme ich zurück.«
Einen Augenblick lang starrten wir uns schweigend an.
»Ich weiß, dass das unverzeihlich war«, sprach er dann weiter, »aber ich würde dir auch nackt bei Molle deinen Tee servieren, nur damit du mich noch einmal küsst.«
Oha!
Er versuchte, mir anzusehen, ob seine Worte wirkten. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie er das Gleiche zu Marie sagte, um sie noch einmal ins Bett zu kriegen, aber das wollte mir nicht gelingen.
Seine grauen Augen glitzerten: »Ich würde dabei sogar eine Krawatte tragen.«
»Na schön, das kann ich mir nicht entgehen lassen!« Ich packte ihn am Nacken und küsste ihn.
41.
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«
Erschrocken fuhren wir auseinander.
Lena stand in der Wohnungstür, die ich nicht geschlossen hatte. Sie trug eine grüne Mütze und einen passenden Schal und um ihren Hals baumelte eine handliche Digitalkamera. Ich konnte mir nicht erklären, was sie hier wollte. Wie lange hatte sie uns schon beobachtet?
»Könnt ihr mir sagen, was ihr hier gerade macht?« Ihr Tonfall war eisig.
Verzweifelt suchte ich nach dem Ausweg, den es nicht gab.
»Was tust du hier?«, fragte Danner sie.
»Das Gleiche wie du, schätze ich.«
Ich blinzelte, als ich begriff, was das bedeutete.
Sie hatte mich verarscht!
Sie hatte uns alle verarscht!
Von wegen naives Girlie!
»Du hast Dittmer nachgeschnüffelt? Die ganze Zeit schon? Deshalb hast du die Fotos machen lassen?«, stammelte ich.
Lena dachte nicht daran, mir zu antworten. »Was du hier machst, will ich wissen«, fuhr sie mich an und kam auf mich zu.
Mein Spiel war aus. Ich hatte die ganze Zeit gewusst, dass ich die Rolle nicht ewig durchhalten konnte. Irgendwann wäre ich nicht mehr zur Schule gegangen, spätestens dann wäre ich aufgeflogen.
Doch
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