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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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verschwunden, während der Deckel des Kessels metallisch schepperte.
    Amy atmete auf. Jetzt wusste sie wenigstens, woher das Geräusch stammte.
    Sie ging an einem Berg alter Kleidungsstücke vorbei, die ungeschützt auf dem feuchten Boden lagen, wo sie vor sich hin moderten. Gleich daneben standen mehrere Körbe, in denen einmal etwas Essbares gelagert haben musste, das dann aber in Vergessenheit geraten war und auf dem inzwischen munter ein flaumig grüner Teppich aus Schimmel spross. Amy rümpfte angewidert die Nase. Kein Wunder, dass es im Keller so stank.
    Das also war ihr Gefängnis.
    Mit hängenden Schultern ließ sich Amy auf die nächste Truhe sinken. Die Kerze stellte sie neben sich ab. Eine ganze Weile saß sie so da und starrte reglos vor sich hin. Sie fragte sich nicht länger, warum das alles ausgerechnet ihr passieren musste, sondern machte sich Vorwürfe, dass sie es angesichts all der vielen kleineren und größeren Hinweise nicht vorausgesehen hatte. Alleine dass Tante Hester sich vor dem Polizisten für ihren Vater eingesetzt hatte, hätte Amy misstrauisch stimmen müssen. Es war nichts weiter als schlecht gespieltes Theater gewesen. Und dass gleich am nächsten Tag ein Hauslehrer für Amy bereitgestanden hatte, deutete ebenfalls darauf hin, dass die drei alles von langer Hand geplant hatten. Wie hatte sie das nur übersehen können?
    Andererseits war Amy in den vergangenen Tagen mit so vielen anderen Dingen beschäftigt gewesen, dass sie keine Zeit gefunden hatte, genauer über all das nachzudenken. Vielleicht hatte sie es auch einfach nicht sehen wollen, weil ihre Tante doch der einzige Mensch war, der ihr nach der Verhaftung ihres Vaters geblieben war. Dabei war Hester in Wahrheit nur zu Besuch gekommen, um die Überführung von Amys Vater ins Gefängnis zu überwachen. Und um Amy unter ihre Aufsicht zu nehmen. Natürlich nicht freiwillig, sondern auf Lucias Anordnung hin. Aus einem Grund, den Amy sich nicht erklären konnte, sah die Frau mit dem Porzellangesicht eine Bedrohung in ihr. Und wer war dieser »andere Feind«, von dem Lucia gesprochen hatte und vor dem sie sich sogar noch mehr fürchtete als vor ihr?
    Eigentlich war das jetzt auch egal.
    Amy lächelte bitter. Sie war eine Närrin gewesen, und jetzt würde sie den Preis dafür zahlen müssen! Ich habe versagt, Papa, dachte sie traurig. Ich wollte dir so gerne helfen und jetzt stecke ich selber in der Klemme.
    Sie starrte auf den Boden, wo die Schatten der Kisten und Truhen im Schein der zuckenden Kerzenflamme wie ruhelose Geister tanzten, die sie zu verhöhnen schienen. Niemand wusste, dass sie hier unten im Keller eingesperrt war. Also würde auch niemand kommen, um sie zu retten. Plötzlich musste sie an ihre Begegnung mit dem alten Piraten denken. Hätte er nur nicht so böse und verrückt gewirkt! Vielleicht hätte sie ihm sonst zugehört. Wenigstens wusste sie durch ihn, dass es da draußen noch mehr Menschen gab, die über diese Verschwörung Kenntnis hatten. Das war zwar kein wirklicher Trost, aber es gab ihr die Hoffnung, dass die Verräter immer noch aufgehalten werden konnten. Auch wenn es dann schon zu spät für sie und ihren Vater sein mochte.
    Amy schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen der Verzweiflung aus. Ich verstehe es nicht, dachte sie wieder und wieder. Was haben Papa und ich Tante Hester getan, dass sie uns so sehr hasst?
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Sie warf der flackernden Kerze einen mürrischen Blick zu. Warum konnte sie nicht still … Amy riss die Augen auf. Das Flackern deutete auf einen Luftzug hin, und wo der herkam, musste es ein Fenster geben. Vielleicht war weiter hinten im Keller eins. Verborgen hinter all dem Zeug, das hier unten lagerte.
    Neue Hoffnung machte sich in Amy breit. Sie nahm die Kerze und kletterte über einen Stapel Kisten hinweg. Dahinter türmten sich noch mehr. Sie quetschte sich durch einen engen Spalt zwischen den Kisten und stand vor einer Ziegelmauer. Einen Meter über ihr befand sich ein winziges vergittertes Kellerloch, das mit Spinnweben und braunem Laub aus dem letzten Herbst verklebt war. Da passte nicht einmal ihr Kopf durch.
    Amy nahm sich auch den Rest des Kellers vor, wobei sie sich durch allerhand Gerümpel kämpfen musste, bevor sie erschöpft und enttäuscht zu ihrer Kiste zurückkehrte. Es gab definitiv nur einen Weg aus diesem Keller und der war ihr versperrt. Bibbernd schlang sie die Arme um den Oberkörper. Durch

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