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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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diese Tür öffnen, wenn ich es nicht will.«
    Sie benutzt Zauberei, um uns hier festzuhalten, dachte Amy hilflos. Niedergeschlagen ließ sie den Türknauf los.
    »Gutes Kind«, sagte Tante Hester mit einem spöttischen Lächeln. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit Finn zu. Plötzlich lag ein gefährliches Funkeln in ihren Augen, wie bei einer Wildkatze, die besonders schmackhafte Beute gewittert hat. »Was meinst du, Amy?«, fragte sie bedrohlich leise. »Würdest du auch das Leben deines kleinen Freundes aufs Spiel setzen, nur um uns nicht zu verraten, ob du jemanden von der Verschwörung erzählt hast?«
    »Du … du würdest doch nicht …«
    »Und ob!«, fauchte Tante Hester. »Ich würde …« Sie schrie auf und schlug die Hände vors Gesicht. Handtellergroße, schwarze Spinnen regneten auf Amys Tante herab. Innerhalb weniger Augenblicke war sie vollständig mit den haarigen Krabblern bedeckt, die ihr übers Kleid, über die Haare und selbst durchs Gesicht wuselten. »Nehmt sie weg, nehmt sie weg!«, kreischte sie voller Ekel und Entsetzen.
    Finn gab Amy einen Stoß. »Versuch’s jetzt noch mal!«
    Amy ruckte an der Tür, die sich widerstandslos öffnen ließ, jetzt, da ihre Tante abgelenkt war. Finn warf die Kerze fort und lief an Amy vorbei aus dem Haus. »Worauf wartest du noch? Schnell, bevor sie es merkt.«
    »Warst du das?«, fragte Amy, als sie über den Platz vor dem Haus rannten.
    »Deine Tante hasst Spinnen. Sie geht nur in den Garten, wenn Meister Chang vorher alles überprüft hat.« Finn grinste triumphierend. »Allerdings sind die Spinnen nur eine Illusion. Schon bald werden sie verpuffen.«
    »Wie schade«, meinte Amy grimmig.

Wasserspeier und Abwasserkanäle
    Amy würde dieses Tempo nicht mehr lange durchhalten. Die Blasen, die sie sich am Nachmittag geholt hatte, brannten, als würden sich mit jedem Schritt glühende Nadeln in ihre Zehen bohren. Sie versuchte, den Schmerz zu ignorieren, indem sie sich ganz auf Finn konzentrierte, der einige Schritte vor ihr durch die leicht abschüssige Gasse lief. Er war kaum mehr als ein Schemen in den Schatten der Häuser, die links und rechts von ihnen aufragten. Manchmal wusste sie nur deshalb, dass er noch vor ihr in der Dunkelheit war, weil sie den dumpfen Klang seiner Schritte hörte.
    »Warte!«, rief Amy mit schwacher Stimme.
    Finn blieb so unverhofft stehen, dass sie in ihn hineinstolperte. »Was ist?«, fragte er ungeduldig.
    »Ich … ich kann nicht mehr«, stammelte Amy. »Ich bin … bin schon den ganzen Tag … ich …« Keuchend brach sie ab.
    »Wir können jetzt keine Pause machen. Wir müssen erst ein Ver …« Finn verstummte. »Hörst du das?«
    Amy hielt den Atem an und neigte den Kopf zur Seite. Jetzt konnte sie es auch hören. Da war ein lauter werdendes Brausen. Und es schien über ihnen aus dem Himmel zu kommen. Amy musste an einen riesigen Insektenschwarm denken. Angsterfüllt blickte sie nach oben. Doch da war nichts. Nur der Mond. Und Rauch, der wie unförmige schwarze Gespenster aus vereinzelten Schornsteinen aufstieg. Vielleicht ist es nur das Rauschen unseres eigenen Blutes, das uns in den Ohren dröhnt, überlegte sie.
    »Wir müssen weiter«, drängte Finn.
    Amy brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, dass er Angst hatte. »Weißt du, was das ist?«
    »Ich bin mir nicht sicher …«
    Das Brausen wurde immer lauter.
    »Weiter!« Finn zerrte Amy mit sich.
    Je näher das unheimliche Geräusch kam, desto mehr veränderte es sich. Mittlerweile klang es wie das schwerfällige Schnauben eines großen Tieres oder wie der Herbstwind, der sich in einer stürmischen Nacht an Hausecken reibt. Was immer dafür verantwortlich war, es konnte nicht mehr allzu weit entfernt sein. Im nächsten Augenblick kam es auch schon über die Dächer der Häuser geschwebt: ein gewaltiger Schatten mit Flügeln.
    »LAUF!«, schrie Finn.
    Amy versuchte verbissen, mit ihm Schritt zu halten, aber es ging nicht. Daran änderte auch der Schrecken nichts, den sie beim Anblick der bedrohlichen Gestalt über ihnen am Himmel empfand. Sie war schlicht am Ende ihrer Kräfte. Helle Flecken tanzten vor ihren Augen wie ein Strudel aus Sternen, der sich immer schneller und schneller drehte. Erschöpft blieb sie mit ihrer Stiefelspitze an einem hoch stehenden Pflasterstein hängen und schlug der Länge nach hin. Mit geschlossenen Augen lag sie da, schwer atmend und zu schwach, um wieder auf die Beine zu kommen. Kleine spitze Kiesel bohrten sich in ihre linke

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