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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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baute sich vor Amy auf. »Rede schon!«
    Amy kniff trotzig die Lippen zusammen und ließ keinen Zweifel daran, dass sie nichts sagen würde. Auf keinen Fall würde sie mit diesen Verrätern zusammenarbeiten. Um etwas aus ihr herauszubekommen, würden sie sie schon foltern müssen.
    Tante Hester schien nichts dagegen zu haben. Wie Schraubstöcke legten sich ihre Hände auf Amys Schultern und drückten so fest zu, dass sich ihre spitzen Finger schmerzhaft in ihre Haut bohrten. Nur mit Mühe konnte Amy einen Aufschrei unterdrücken.
    »Bist du noch bei Sinnen?«, grollte Tante Hester. »Weißt du überhaupt, mit wem du es hier zu tun hast? Lucia könnte dich …«
    »Zügeln Sie Ihre Zunge, Hester«, ermahnte sie die Frau mit dem Porzellangesicht. »Wir wollen ihr doch nicht noch mehr verraten, als sie ohnehin schon weiß.«
    Tante Hester nickte entschieden. »Also gut, wenn sie nicht freiwillig reden will, werde ich sie eben zwingen.«
    »Ja, ja, tun Sie das«, drängte Lord Winterhall, der wie ein aufgescheuchtes Wiesel vor dem Kamin auf und ab lief. Seine kleinen, aschegrauen Augen bohrten sich in Amys Blick. »Vor allen Dingen müssen wir herausfinden, ob sie mit jemandem gesprochen hat. Was für eine Katastrophe!« Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Unser ganzer schöner Plan ist in Gefahr.«
    »Nun reißen Sie sich schon zusammen.« Im Gegensatz zu Lord Winterhall und Tante Hester wirkte Lucia wie die Ruhe selber. »Falls das Mädchen mit jemandem gesprochen hat, können wir das nicht mehr ändern. Dieses Problem ließe sich allenfalls im Nachhinein aus der Welt schaffen. Nur brauchen wir dazu erst Antworten.«
    »Sieh mich an, junges Fräulein.« Tante Hester schüttelte Amy, bis sie ihr das Gesicht zuwandte. Ein einzelnes Wort, das sie nicht verstand, entschlüpfte den Lippen ihrer Tante. Sofort spürte Amy eine Woge aus Magie, die auf sie einströmte. Mit einem Mal füllte ein hoher Summton ihre Ohren, als umschwirrte sie ein unsichtbarer Bienenschwarm, der nach einem Eingang in ihren Kopf suchte.
    »Es funktioniert nicht«, stöhnte Tante Hester, deren Gesicht vor Anstrengung verzerrt war. »Der Zauber dringt nicht zu ihr vor.«
    »Sie müssen sich mehr Mühe geben!«, schrie Lord Winterhall, der die Hände zu Fäusten geballt hatte und wie ein wütendes Kind mit dem Fuß aufstampfte.
    Das Summen wurde lauter und klang jetzt zornig, aber auch eine Spur verzweifelt in Amys Ohren. Dann verstummte es plötzlich. Tante Hesters Gestalt erschlaffte. Ihre Hände rutschten von Amys Schultern und ihre Knie knickten ein. Vermutlich wäre sie gefallen, hätte Lord Winterhall sie nicht gestützt. »Es … es geht nicht«, flüsterte Tante Hester mit entkräfteter Stimme. »Ich komme einfach nicht zu ihr durch.«
    »Sie müssen einen Fehler gemacht haben«, murmelte Lord Winterhall entgeistert. »Ich habe noch von keinem Fall gehört, in dem ein Wahrheitszauber nicht gewirkt hätte.« Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Amy an, als wäre sie ein exotisches Tier. »Wie kann das sein, Lucia? Niemand ist so mächtig.«
    »Sie kann ja nicht einmal zaubern.« Tante Hester löste sich von Lord Winterhall. »Selbst die einfachsten Dinge beherrscht sie nicht.« Sie schwankte immer noch gefährlich. Ihr Stolz ließ es jedoch nicht zu, weiterhin von ihm gestützt zu werden. »Wie kann sie sich also gegen meinen Zauber schützen? Ich verstehe das nicht.«
    Lucias kalte, schwarze Augen fixierten Amy mit solcher Intensität, dass sie das Gefühl hatte, diese Frau könne bis in die geheimsten Winkel ihrer Seele blicken. »Es ist also wahr«, murmelte sie. »Mir waren diese Gerüchte zuvor schon zu Ohren gekommen und dennoch wollte ich sie nicht glauben.« Eine neuerliche Woge aus Magie drang auf Amy ein. Dieses Mal ging sie jedoch von der Frau mit dem Porzellangesicht aus. Wieder glitt sie wirkungslos an ihr ab. Und für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte Amy so etwas wie Furcht in Lucias Zügen zu erkennen, bevor sie wieder so kühl und maskenhaft starr wie eh und je wurden, sodass Amy sich fragte, ob sie es sich nicht eingebildet hatte.
    »Wie kann das sein?«, wollte Lord Winterhall wissen. »Wie kann sie sich gegen unsere Magie behaupten, obwohl sie selber keine beherrscht?«
    »Oh, das kann sie gar nicht.« Lucia drehte sich langsam zu ihm um. »Sehen Sie, Euer Lordschaft, die Menschen haben gelernt, die Magie dieser Welt wie ein Schwamm in sich aufzusaugen und für ihre Zwecke einzusetzen. Die einen sind

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