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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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Stirn und ihr wild schlagendes Herz fühlte sich an, als wäre es auf die doppelte Größe angeschwollen. Immer wieder blickte sie nach unten, wo nichts als Finsternis war. Und wenn auch dort unten ein Monster auf sie lauerte? Vielleicht hatte Lucia noch andere Steinfiguren zum Leben erweckt. Kleine hässliche Kobolde oder zähnefletschende Dämonen, wie es sie über den Eingangsportalen von kleinen Kapellen oder berühmten Gildehäusern gab, machten möglicherweise schon über und unter der Stadt Jagd auf sie. Plötzlich kam ihr ein anderer, genauso erschreckender Gedanke. »Wie sollen wir uns in den Kanälen ohne Licht zurechtfinden?«, rief sie Finn zu.
    »Keine Angst, ich werde für Licht sorgen«, schnaufte er. Dann hörte sie etwas platschen. »Bin unten angekommen. Allerdings ist der Boden ziemlich matschig. Pass auf, dass du nicht ausrutschst!«
    Gleich darauf hatte es auch Amy geschafft. »Wo bist du?«, fragte sie ängstlich in die Schwärze.
    »Gleich neben dir. Und jetzt sei bitte ruhig, ich muss mich konzentrieren.«
    Ein winziges Flämmchen, zunächst klein wie ein Sandkorn, glomm in Finns Hand auf. Rasch wuchs es zu einer aufgeregt züngelnden Flamme, die leise vor sich hin wisperte. Amy kniff ungläubig die Augen zusammen, als sie ein winziges Gesichtchen in der orangeroten Glut erkannte. »Ist das ein Irrlicht?«, fragte sie ehrfürchtig.
    »Kein echtes. Darum wird es auch nicht lange halten«, sagte Finn mit matter Stimme. »Aber es kann uns in den Schacht vorausfliegen und den Weg leuchten.«
    Amy nickte.
    »Wo seid ihr?«, tönte in diesem Moment Tante Hesters schrille Stimme zu ihnen hinab.
    Amy zuckte zusammen. Zwei Frauengestalten standen hoch über ihnen über den Rand des Schachtes gebeugt und starrten zu ihnen hinunter. Amy konnte kaum mehr als ihre Umrisse erkennen, aber auch so war ihr klar, um wen es sich bei der zweiten Person handelte.
    »Gebt doch auf, ihr könnt uns eh nicht entkommen«, kreischte Tante Hester mit triumphierender Stimme. »Und jetzt kommt auf der Stelle hoch, bevor Lucia den Wasserspeier auf euch loslässt!«
    Amy tauschte einen kurzen Blick mit Finn und las die Antwort in seinen Augen. »Flieg!«, hauchte er dem Irrlicht zu und warf es in die Luft. Durch die Holzverstrebungen des Gerüstes schoss es auf das knapp mannshohe, aus rotbraunen Ziegelsteinen gemauerte Abflussrohr zu, das dem Zugang zum unterirdischen Bau einer Riesenratte glich. Finn nahm Amys Hand, sie nickte ihm zu, dann liefen sie dem Irrlicht hinterher.
    »Ihr dummen Kinder«, hörten sie Tante Hesters leiser werdende Stimme. »Kommt zurück! Kommt … Was haben Sie vor, Lucia? Das können Sie doch nicht machen!«
    Was kann sie nicht machen?, fragte sich Amy gerade, als hinter ihnen der Wasserspeier krachend durch das Gerüst stürzte. Es gab eine Explosion, als hätte ein Riese versucht, das Abflussrohr mit seinem Fuß zu zermalmen. Steine und Holzsplitter schossen in das Rohr. Wie Faustschläge trafen sie Amy im Rücken und ritzten ihr die ungeschützten Wangen auf. Weiter vor ihr wurde das Trugbild des Irrlichts von einem herabstürzenden Ziegelstein getroffen, woraufhin es wie ein Spiegel zerbarst. Sofort kehrte die Finsternis zurück. Bevor Amy reagieren konnte, riss Finn sie zu Boden.
    »Nicht bewegen«, schrie er ihr über das Poltern herabstürzender Steine und Stützbalken hinweg zu.
    Amy wurde am ganzen Körper von Schutt und Geröll getroffen. Zum Glück lag der Eingang des Rohres bereits ein gutes Stück hinter ihnen, denn dort gingen die wirklich schweren Trümmerstücke nieder. Allzu leicht hätte eines von ihnen sie erschlagen können.
    Bitte, dachte Amy, während sie das Gesicht mit fest geschlossenen Augen auf den Boden drückte. Bitte lass uns das heil überstehen! Tastend schob sie die Hand in Finns Richtung. Im Sturz hatten sich ihre Hände voneinander gelöst. Als sie seine klammen Finger erspürte, griff sie fest zu. Finn drückte zurück. Es ging ihm gut!

    Vor lauter Staub hustend, der wie feiner Nebel in der Luft hing, richtete sich Amy auf. Neben ihr stöhnte Finn. Sie hörte, wie Geröllsplitter von ihm herunterkullerten, als er sich ebenfalls aufrichtete. Kurz darauf entflammte auf seiner Hand ein weiteres Irrlicht und hüllte sie in hellen Schein. Finn hatte mehrere Schrammen im Gesicht, die alle nicht sehr tief waren. Amy schätzte, dass sie selber nicht besser aussah, so wie ihre Wangen brannten.
    »Dein Haar ist voller rotem Staub«, sagte Finn und lachte glücklich auf,

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