Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
Vom Netzwerk:
weil sie überlebt hatten.
    »Deins auch. Ist alles in Ordnung?«
    Er nickte und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, an der ein paar platt gedrückte Erdkrumen klebten, die nun herunterfielen. »Und bei dir?«
    Amy versuchte zu lächeln und scheiterte kläglich. »Wir haben ziemliches Glück gehabt, was?«
    Finn schnaubte zustimmend.
    »Ich versteh’s nicht.« Amy schüttelte den Kopf. »Lucia hätte doch klar sein müssen, dass der Wasserspeier uns nicht folgen kann. Er war viel zu groß.«
    Finn sah sie bekümmert an. »Ich glaube, das wusste sie sehr genau, als sie ihn uns nachschickte.«
    »Du meinst …« Amy traute sich nicht, den Satz zu beenden.
    »Oh ja«, sagte Finn. »Sie wollte, dass das passiert. Sie wollte uns umbringen!«
    Amys Blick huschte zu der Trümmerhalde zurück, die den Eingang des Abflussrohrs blockierte. Hätte Finn nicht so schnell reagiert und sie mit sich gezogen, läge sie nun unter den Steinbrocken begraben. »Jetzt hast du mich heute schon zum zweiten Mal gerettet«, sagte sie leise.
    »Wenigstens können sie uns jetzt nicht mehr folgen. Vielleicht halten sie uns sogar für tot, sodass wir endlich Ruhe vor ihnen haben.«
    »Ja, vielleicht.« Amy zog die Nase hoch.
    »Nicht doch.« Finn strich ihr tröstend über die Wange. »Dafür ist jetzt keine Zeit. Wir müssen weiter.«
    Amy sah ihn gequält an. »Können wir nicht eine kleine Pause machen?«, bettelte sie. »Du hast selber gesagt, dass wir hier vor ihnen sicher sind.«
    »Wir werden uns ausruhen, versprochen. Aber nicht hier.« Er stand auf und hielt Amy die Hand hin, um ihr endgültig aufzuhelfen. Er warf das Irrlicht in die Luft, dann stolperten sie ihm hinterher.
    Amy tat alles weh, sie biss jedoch tapfer die Zähne zusammen. Wenigstens das war sie Finn schuldig, bei allem, was er wegen ihr durchmachte.
    Alle fünfzig Meter löste das Irrlicht sich in einer kleinen Funkenexplosion auf. Das war der Nachteil an Trugbildern. Sie mussten ständig erneuert werden. Und jedes Mal dauerte es länger, bis es Finn gelang, das Irrlicht erneut heraufzubeschwören. Mit der Zeit wurde er immer blasser. Auch torkelte er mehr, als er ging.
    »Lass uns eine Pause machen«, drängte Amy.
    »Gleich«, erwiderte Finn wie auch schon die Male zuvor. Erst als sich das Abwasserrohr vor ihnen teilte, hielt er an. »Das ist eine gute Stelle«, murmelte er und ließ sich an der Wand zu Boden sinken. »Falls uns jemand folgt oder entgegenkommt, bleibt uns immer noch ein Fluchtweg.« Sein Kopf sackte zur Seite und er war eingeschlafen.

Das Versteck bei den Docks
    Amy nahm sich fest vor, wach zu bleiben, solange Finn schlief. Aber kaum hatte sie sich neben ihn gekauert, fielen auch ihr die Augen zu.
    Sie träumte.
    Sie waren gar nicht entkommen, sondern in eine hinterhältige Falle geraten. Die Rohre des Abwassersystems waren in Wahrheit der Bau einer mörderischen Riesenratte. Ein weißes Ungetüm mit Augen, die von innen heraus zu brennen schienen, jagte sie und Finn durch das Labyrinth der unterirdischen Schächte und Kanäle. Gnadenlos hetzte es sie durch ein unheimliches Zwielicht, das von raunenden Stimmen und tanzenden Schatten erfüllt war. Wie sehr Amy und Finn sich auch anstrengten, die Riesenratte wollte sich einfach nicht abhängen lassen. Manchmal kam sie ihnen sogar so nahe, dass sie ihnen mit ihren scharfen Klauen an Haar und Kleidung riss.
    Plötzlich endete der Schacht und sie liefen hinaus in eine weite dunkle Höhle. Außer ihnen war noch jemand dort. Zuerst konnte Amy ihn nicht erkennen. Als sie ihm jedoch näherkamen, sah sie, dass es ein Mann war. Nicht alt, aber auch nicht mehr jung. Er trug eine Krone und strahlte Würde und Macht aus, aber auch Traurigkeit.
    Die weiße Ratte, die ihnen so dicht auf den Fersen gewesen war, brach die Jagd unerwartet ab. Wie ein Tiger im Käfig lief sie fauchend und zischend vor ihnen auf und ab, wagte sich jedoch nicht näher an Amy und Finn heran, die jetzt zu beiden Seiten des fremden Königs standen. Der hob seine Hand und tiefes Donnergrollen erfüllte die Höhle. Ein glühender Funke löste sich aus der Decke, die nun wie ein Sternenhimmel aussah, und wuchs rasch zu einem lodernden Feuerball heran, der die Ratte mit Haut und Haaren verschlang.
    Amy wollte dem König danken – allein er war verschwunden. An seiner Stelle stand nun ein blasser Jüngling mit dünnem blonden Haar. Etwas kränklich wirkend, aber mit Augen, die wie Saphire funkelten. Amy erkannte Prinz Henry. Sie wollte ihn

Weitere Kostenlose Bücher