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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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schrie erschrocken auf. Etwas hatte ihr linkes Bein berührt. Sie blickte nach unten und atmete auf. Es war nur eine Katze. Allerdings eine so dürre, dass man jede einzelne Rippe durch das getigerte Fell erkennen konnte. Als Amy ihrem Blick begegnete, maunzte sie erbärmlich. »Du armes kleines Ding«, murmelte Amy und beugte sich runter, um sie zu streicheln. Schnurrend drückte die Katze ihr Köpfchen in Amys Hand. Ihre Augen sind blau wie das Meer, dachte diese und erinnerte sich an einen Ausflug an die Küste, in einer Zeit, als ihre Mutter noch gelebt hatte.
    »Was tust du da?«, fragte Finn verärgert.
    Amy wollte der Katze, die schnuppernd das dreieckige Näschen erhoben hatte, gerade ein Stück Käse aus ihrem Vorratsbeutel geben, als Finns Finger sich um ihr Handgelenk schlangen. »Nein«, sagte er entschieden. »Das ist das einzig Essbare, was wir bei uns haben. Das können wir nicht so vergeuden.«
    »Aber …«
    Er schüttelte unnachgiebig den Kopf, woraufhin Amy ihm einen wütenden Blick zuwarf.
    »Ich kann auch nichts dran ändern«, brummte er. »Gehen wir rein, bevor uns jemand hier stehen sieht.«
    Hinter ihnen stieß die Katze ein herzerweichendes Miauen aus.
    Amy seufzte. »Tut mir leid, Kätzchen.«
    »Es ist besser so«, sagte Finn. »Wenn du diese Streuner einmal fütterst, wirst du sie nie wieder los. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«
    Kurz bevor sie durch eine Seitenpforte in die Weberei schlüpften, drehte Amy sich noch einmal nach der Katze um. Sie saß immer noch dort, wo sie sie zurückgelassen hatten, und starrte mit großen, traurigen Augen zu ihnen herüber. Amy legte den Zeigefinger auf die Lippen und warf ihr unauffällig das Stückchen Käse zu, bevor sie Finn ins Innere folgte.
    »Das hab ich gesehen.« Finn verdrehte die Augen, sagte aber ansonsten nichts weiter dazu.
    Amy grinste. In Wahrheit hatte Finn die Katze bestimmt genauso leidgetan wie ihr.
    Neugierig blickte Amy sich um, während sie einem schmalen Gang folgten, der an einer langen Reihe von Webstühlen vorüberführte. Riesenhafte Ungetüme aus Holz, zentimeterdick von Staub bedeckt und in Kokons aus seidigen Spinnweben gehüllt. Amy reckte den Kopf, um über Finns Schulter hinweg zum Ende der Halle sehen zu können. Dunkel war es dort. Also glitt ihr Blick zu den hohen Fenstern, die im groben Mauerwerk über den Webstühlen eingelassen waren. Früher einmal musste helles Tageslicht hindurchgeströmt sein. Jetzt waren sie so schmutzig, das sie von den einfallenden Sonnenstrahlen in ein trübes, graues Zwielicht verwandelt wurden.
    »Hier entlang«, sagte Finn und öffnete eine Tür. Vor ihnen lag ein düsterer Gang, von dem weitere Türen abzweigten.
    »Was ist dahinter?«, wollte sie wissen.
    »Lagerräume, Ersatzteillager, eine Waschküche … Manche Räume sind auch leer.« Er hob die Hand und deutete auf das Ende des Ganges. »Da vorne ist es!«
    »Was?«
    »Unser Unterschlupf für die nächste Zeit. Ein altes Büro. Da saß früher mal der Boss drin.«
    Das Zimmer war größer, als Amy erwartet hatte, und es musste einmal sehr hübsch und gemütlich gewesen sein. Das konnte man immer noch erkennen, obwohl seine besten Tage schon eine ganze Weile zurücklagen. Dutzende Bilder hingen an den holzvertäfelten Wänden. Sie waren zwar von einer klebrigen, honiggelben Staubschicht überzogen, dennoch konnte man auf einigen noch grüne Wälder, einsame Burgen und ein prächtiges Segelschiff erahnen. In einer Ecke stand ein fleckiges smaragdgrünes Sofa, aus dem an vielen Stellen flockige Baumwolle quoll. Darüber hing eine pompöse, reich verschnörkelte Uhr ohne Zeiger. Außerdem gab es noch einen umgeworfenen Schreibtisch, der seine Füße wie ein totes Rhinozeros gen Himmel reckte, und einen zertrümmerten Schrank, von dem sich verkohlte Bruchstücke im Kamin wiederfanden.
    »Ist es wirklich eine gute Idee, dass wir uns hier verstecken?«, fragte Amy skeptisch.
    »Warum nicht?«
    »Falls sie uns hier aufspüren, wird niemand hören, wenn wir um Hilfe rufen.«
    »Erst einmal müssen sie uns finden. Und zweitens … ach, sieh selber.« Finn trat zu einem schmierigen Fenster, das halb hinter einem dunkelroten Stofffetzen verschwand, der früher mal ein Vorhang gewesen sein musste.
    Amy blickte in einen Innenhof. Er war sehr viel größer als der, den sie vorhin überquert hatten. Allerhand Müll und Schrott lagerten darin. Ein zerbrochener Webstuhl, verrostete Zahnräder und Eisengestelle, modrige Kisten und ein

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