Der 13. Engel
einer Porzellanpuppe als dem eines Menschen. Und wie gewöhnlich war sie von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet.
»Ihr beide habt uns mehr Schwierigkeiten bereitet, als ich erwartet hatte.« Wie immer klang ihre Stimme so schneidend, dass es Amy nicht verwundert hätte, wenn ihre Worte sich auf dem Weg zu ihr in funkelnde Eisklingen verwandelt hätten. »Ich hätte mich nicht auf deine Tante verlassen sollen. Sie hat dich unterschätzt. Das wird nicht noch einmal geschehen!«
Amy schluckte die Angst herunter, die ihr die Kehle hochkroch. Dann fragte sie mit einer Stimme, die selbstsicherer klang, als sie sich fühlte: »Wer sind Sie? Ich meine, wirklich. «
»Was spielt das für eine Rolle? Es ist dein Leben, um das du dir Gedanken machen solltest.«
»Ich will es trotzdem wissen.«
Lucia stützte sich mit den Fingerknöcheln auf dem Tisch ab und es entbrannte ein Duell der Blicke zwischen den beiden. Amy starrte in Lucias lodernde Augen. Schwarze, bodenlose Abgründe, die sie zu verschlingen drohten. Trotzdem wandte sie den Blick nicht ab. Sie zwinkerte nicht einmal. Dann geschah es. Einen Atemzug lang wurde das Feuer aus Hass und Zorn durchscheinend, das tief im Inneren von Lucias Augen brannte. Die Frau mit dem Porzellangesicht keuchte leise auf und wandte den Blick ab. Doch zu spät. Amy hatte gesehen, was sich dahinter verbarg, was Lucias Hass und Zorn nährte: uralte Verbitterung und Enttäuschung, so tief sitzend und so umfassend, das ihr ganzes Wesen daraus zu bestehen schien. »Schau an, Amy Tallquist«, sagte Lucia verhalten. »Du besitzt mehr Courage, als ich dir zugetraut hätte. Beeindruckend, ja, wirklich.«
»Was ist mit meiner Antwort?«, beharrte Amy.
»Werd nicht frech«, blaffte Mr Fraud sie von der Tür her an. Lucia hob mahnend die Hand und brachte ihn damit zum Schweigen. Ihr Kleid raschelte wie trockenes Herbstlaub, als sie sich noch weiter zu Amy über den Tisch beugte. »Spielst du nur die Dumme oder weißt du es tatsächlich nicht?« Mit einer herrischen Drehung wandte sie sich Mr Fraud zu, ohne Amy weiter zu beachten. »Ausgezeichnete Arbeit.«
Er trat näher. »Wie geht es voran?«
»Wie wir es geplant haben. Wenn heute in einer Woche die Krönungszeremonie stattfindet, werden wir ihn uns holen.«
Mr Fraud rieb sich die Hände. »Den Schwarzen Stern. Dann wird er endlich unser sein!«
Lucia warf ihm einen wütenden Blick zu. »Nicht vor ihnen«, fauchte sie und nickte in Amys und Finns Richtung.
»Natürlich«, murmelte er unterwürfig. »Obwohl … wem sollten sie es jetzt noch erzählen?« Mr Fraud kicherte gehässig.
Du widerliches Scheusal, dachte Amy. Wenigstens wussten sie jetzt, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatten. Die Verschwörer waren hinter dem Schwarzen Stern her.
»So spricht nur ein Narr«, fuhr Lucia Mr Fraud scharf an. »Die beiden sind uns schon oft genug entwischt.«
»Aber nicht ohne Hilfe«, verteidigte sich Mr Fraud.
»Und gerade das ist unser größtes Problem.« Lucia sah zu Amy und Finn herüber, wie um sich zu versichern, dass die beiden keinen Unfug hinter ihrem Rücken anstellten. »Ich muss jetzt weg. Eine dringende Angelegenheit wartet auf meine Entscheidung. Ich werde jedoch in Kürze ein paar von Lord Winterhalls Männern vorbeischicken, die die beiden in Gewahrsam nehmen.«
»Ich könnte …«
Lucia hob gebieterisch die Hand. »Keine weiteren Risiken! Behalte die beiden einfach nur im Auge, bis Unterstützung eintrifft.«
»Ja, ja, schon gut«, zischte Mr Fraud. »Ich habe verstanden.«
Das einzige Fenster des Wohnzimmers explodierte. Ein Schauer aus Glassplittern jagte durch den Raum, ritzte das Polster eines gelb gestreiften Sofas auf und warf mehrere Uhren zu Boden, wo sie scheppernd in ihre Einzelteile zersprangen. Amy riss schützend die Arme hoch. Doch wie durch ein Wunder kamen die gefährlichen Geschosse nicht einmal in ihre und Finns Nähe. Als sie zwischen den Fingern hindurchlugte, sah sie jemanden zum Fenster hineinsteigen. Er trug einen indigofarben Anzug und ein farblich passendes Cape.
Cornelius!
Magisches Duell
»Was willst du hier, Verräter?« Lucia ballte die Hände zu Fäusten und erbebte vor Zorn. »Du hast mich hintergangen, uns alle. Deine eigenen Schwestern und Brüder. Dafür wirst du bezahlen!« Trotz dieser unglaublichen Drohung blieb Cornelius die Ruhe selbst. Er zwinkerte Amy sogar zu. Allerdings war sie sich sicher, dass er das nur tat, um ihr die Furcht zu nehmen. Dabei wäre das gar nicht
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