Der 13. Engel
wickelte den Schal behutsam um Finns verletzten Arm. Die ganze Zeit über sah Finn nicht hin, als fürchtete er, es könnte dadurch noch mehr wehtun. »Damit er hält, muss ich jetzt einen Knoten machen«, sagte Amy. »Bereit?« Finn biss so fest die Zähne zusammen, dass sich seine Wangen kräuselten. »In Ordnung«, presste er hervor.
Amy zog zu.
»Aua!«, heulte Finn auf.
»Es ging nicht anders. Der Verband darf nicht zu locker sitzen, sonst blutet es immer weiter.« Sie stand auf und half ihm wieder auf die Beine.
»Wie weit ist es von hier bis zur Weberei?«, fragte Amy, die sich bei Finn eingehakt hatte, weil er immer noch schwankte.
»Eine Stunde, vielleicht ein bisschen länger«, sagte er leise. Plötzlich sah er sie ernst an. »Was hat das alles zu bedeuten?«
»Was meinst du?«
»Du hast selber gesehen, wie mächtig Lucia ist. Sie hat magische Blitze auf diesen Cornelius abgefeuert und trotzdem will sie uns lieber von Lord Winterhalls Männern abholen lassen, anstatt sich selber um uns zu kümmern.« Er schnaubte leise. »Mr Fraud hat sich wie ein Idiot benommen. Hat gezetert wie ein kleines Kind, anstatt uns einfach niederzuschlagen. Und erst Mr Greymore und Mr Black. Ich versteh’s nicht! Sie haben gedroht, uns in Stücke zu schneiden. Aber dann drehen sie total durch, weil sie mich versehentlich verletzt haben. Das ergibt keinen Sinn!«
»Ich weiß auch nicht mehr, als die alte Frau uns gesagt hat«, erwiderte Amy. »Aus irgendeinem Grund können sie uns nichts tun. Warum das bei Cornelius anders ist, versteh ich auch nicht.«
»Sie sagte, dass er sie verraten habe. Seine eigenen Schwestern und Brüder.« Finn stöhnte leise, als er den Kopf ein wenig zu schnell in Amys Richtung wandte. »Das würde bedeuten, dass er einmal zu ihnen gehört hat und die gleiche Macht wie sie besitzt. Ob es daran liegt?«
»Ein Verräter unter Verrätern«, murmelte Amy. »Kann schon sein, dass es daher kommt.« Feine Linien bildeten sich auf ihrer Stirn. »Ob er der Feind ist, von dem Lucia fürchtet, dass er ihre Pläne zunichte machen könnte?«
»Das würde Sinn ergeben – wir müssen da vorne nach rechts.« Finn deutete mit dem Kinn in Richtung eines Sträßchens , das hinter der Bronzestatue eines stolz dreinschauenden Generals auftauchte. »Also schön«, fuhr er mit schwächer werdender Stimme fort. »Wer sind diese Leute? Du weißt doch was.«
»Unsinn.«
»Das … glaub ich nicht.«
»Musst du ja auch nicht«, erwiderte Amy schnippisch.
»Schön, dann behalt’s eben für dich.«
»Werd ich auch!«
»Hah, ich … ich wusste ja, dass du was weißt«, feixte Finn.
»Tu ich nicht! Nicht wirklich jedenfalls.« Wütend starrte Amy die Statue des Generals an, der sie selbstgefällig anlächelte. So, als wüsste er genau, was in ihr vorging. Es ist doch nur eine Ahnung, dachte Amy bitter. Nicht mehr. Und bevor sie keine Gewissheit hatte, wollte sie Finn nicht damit beunruhigen.
Finns Geschichte
Über zwei Stunden hatten sie für den Rückweg in die Weberei gebraucht, doppelt so lange, wie es eigentlich gedauert hätte. Durch den Blutverlust war Finn stark geschwächt, sodass sie öfter eine Pause hatten einlegen müssen, weil ihm immer wieder schwindelig geworden war. Aber nun waren sie in Sicherheit.
Als Erstes warf Amy Holz in den Kamin, um das Feuer wieder auflodern zu lassen, das zu einem Häufchen glühender Asche niedergebrannt war. Sie blies kräftig in die Glut und es dauerte nicht lange, bis kleine orangefarbene Flämmchen auf das nachgelegte Holz übersprangen. Sie stand auf und sah zu Finn. Mit geschlossenen Augen und immer noch beunruhigend grau im Gesicht hockte er auf dem alten Sofa. Amy ging zu ihm. Der Schal, den sie ihm um den Oberarm gebunden hatte, war rot von Blut. Vorsichtig begann sie, den Knoten zu lösen.
Finn schlug die Augen auf. »Was hast du jetzt wieder vor?«, jammerte er.
»Ich will mir die Wunde ansehen und sie frisch verbinden.«
Sofort drehte Finn den Kopf in die andere Richtung. »Und?«, fragte er mit bebender Stimme.
»Ich kann noch nichts sehen.« Amy legte den Schal beiseite. Der Hemdsärmel war ebenfalls voller Blut und wies einen langen Riss auf. Amy zog den durchweichten Stoff auseinander. Beim Anblick der Wunde wurde ihr kurz übel. Sie zog sich fast über den gesamten Oberarm bis runter zum Ellbogen. Besonders tief sah sie allerdings nicht aus und sie hatte mittlerweile auch aufgehört zu bluten.
»Nun sag schon«, drängte Finn. »Muss der Arm
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