Der 13. Engel
Mr Fraud mit leichtem Unbehagen in der Stimme. »Manchmal kann einem eine Stunde wie hundert vorkommen. Und ein Jahr wie eine Ewigkeit.«
Amy war sich nicht sicher, ob er eine Antwort darauf erwartete. Oder ob er nur so vor sich hin gesprochen hatte.
»Setzt euch.« Mr Fraud deutete auf einen Tisch. »Eure Mäntel könnt ihr über die Lehnen hängen, falls euch zu warm sein sollte.« Er drehte sich dem Kamin zu und entzündete ihn mit einem Fingerschnippen. Anschließend verließ er das Wohnzimmer, um kurz darauf mit zwei Tassen dampfender Schokolade und einem Teller Haferplätzchen zurückzukehren, die vor ihm auf einem Tablett schwebten. »Greift nur zu, Kinder«, forderte er sie auf.
Finn kniff die Augen zusammen »Und Sie essen nichts davon?«
Mr Fraud schüttelte den Kopf. »Ich habe erst vorhin gefrühstückt.«
Amy langte zu. Die süßen Plätzchen waren eine willkommene Abwechslung zu dem trockenen Brot der vergangenen Tage. Nachdem Finn vorsichtig von der Schokolade probiert und an einem Haferkeks geknabbert hatte, war er anscheinend überzeugt, dass beides kein Gift enthielt. Nun gab es auch für ihn kein Halten mehr.
Mr Fraud hatte die Ellbogen auf dem Tisch abgestützt. Seine Hände bildeten an den Fingerspitzen ein Dreieck, auf dem sein Kinn ruhte. Eine Weile sah er ihnen stumm beim Essen zu. »Ihr seid ja ganz schöne Schmutzfinken«, bemerkte er mit hochgezogener Braue, holte sein Taschentuch hervor und begann den Tisch in seiner unmittelbaren Umgebung sorgfältig zu säubern.
Amy grinste zu Finn hinüber, der zurückgrinste und sich dann wieder gierig den Haferplätzchen zuwandte.
»Willst du mir jetzt erzählen, was dir zugestoßen ist, Amy?«, erkundigte sich Mr Fraud, als sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte und die letzten Krümel aus den Mundwinkeln wischte.
Finn warf ihr einen warnenden Blick zu. Amy nickte kaum merklich. »Bestimmt würde ich, äh, Sie damit nur langweilen, Sir. Außerdem, äh, denke ich, dass …«
Ein Klopfen an der Haustür war Amys Rettung. Sie wollte gerade aufatmen, als Finn ängstlich herausplatzte: »Gehen Sie nicht, Mr Fraud!«
Amys ehemaliger Hauslehrer verharrte in der Bewegung und blinzelte erstaunt. »Warum denn nicht? Das ist sicher nur die Schneiderin von nebenan. Ich hatte Sie heute Morgen gebeten, eines meiner Jacketts auszubessern. Es ist schon etwas älter und war an den Ellbogen durchgescheuert.« Er verließ den Raum und zog die Tür beim Hinausgehen bei, sodass Amy der Blick in den düsteren Hausflur versperrt wurde. »Du denkst, sie könnten da draußen sein?«, fragte sie mit leicht zitternder Stimme.
»Mr Greymore und Mr Black, ja«, sagte Finn tonlos. »Allerdings … wie hätten sie uns hier aufspüren sollen? Ich habe keine weiße Ratte gesehen, die uns gefolgt ist.«
»Mag sein«, sagte Amy nachdenklich. Sie war sich sicher, dass man diese beiden Verrückten nicht unterschätzen durfte. Vorsichtshalber suchte sie das Zimmer nach einem Fluchtweg ab. Es gab nur ein kleines Fenster, durch das man einen Hinterhof sehen konnte, wo ein paar weiße Hemden an einer Wäscheleine im Wind flatterten.
»Ah, guten Tag, ich habe dich bereits erwartet«, hörte sie Mr Fraud da im Hausflur ausrufen. Amy entspannte sich und brachte sogar ein Lächeln zustande. Hätten Mr Greymore und Mr Black vor der Tür gestanden, wäre die Begrüßung gewiss anders ausgefallen. Die beiden hätten den schmächtigen Mr Fraud einfach niedergeschlagen und wären an ihm vorbei ins Haus gestürmt.
Finn knabberte bereits wieder an einem neuen Keks. »Klück habt«, nuschelte er mit vollem Mund.
Amy beugte sich vor, um nach ihrer heißen Schokolade zu greifen, als die Wohnzimmertür aufflog und ein strahlender Mr Fraud hereinkam.
Was ist denn in den gefahren?, fragte sich Amy, die den kleinen Mann noch nie so guter Dinge erlebt hatte.
»Ich habe euch Besuch mitgebracht«, verkündete er.
Amy reckte sich neugierig, um an Mr Fraud vorbeizusehen. Allerdings war der Flur zu dunkel, um erkennen zu können, wer sich hinter ihm befand. Da machte Mr Fraud einen Schritt zur Seite und Amy stieß einen spitzen Schrei aus.
Im Türrahmen stand Lucia. Bei ihrem Anblick durchlief Amy ein Zittern und alle Wärme wich aus ihrem Körper, als wäre sie in einen Bottich mit eiskaltem Wasser geworfen worden. »Nicht Sie«, flehte sie.
Mr Frauds Lächeln nahm einen hämischen Zug an.
Lucia blieb vor dem kleinen Tisch stehen und fixierte Amy. Nach wie vor ähnelte ihr Gesicht mehr dem
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